Iran-Korrespondentin Karin Senz"Man möchte auf keinen Fall Bilder von blutigen Straßenschlachten"
Am 16.09. jährt sich der Todestag von Jina Mahsa Amini zum ersten Mal. Die 22-jährige Iranerin war nach einer Kopftuchkontrolle in Teheran in Polizeigewahrsam gestorben. Neuerliche Proteste wolle das Regime im Iran mit allen Mitteln verhindern, berichtet Korrespondentin Karin Senz.
"Jin, Jiyan, Azadi" – "Frau, Leben, Freiheit" wurde im Herbst 2022 gerufen, als vor allem junge Menschen nach Aminis Tod im ganzen Land auf die Straße gegangen sind, um gegen das Regime zu protestieren. Der Vorwurf: Amini soll misshandelt und mutmaßlich so stark verprügelt worden sein, dass sie ins Koma fiel und starb.
Menschenrechtler*innen und Demonstrant*innen forderten nicht nur ein Ende des Kopftuchzwangs, sondern auch den Rücktritt des Obersten Religiösen Führers Ayatollah Ali Khamenei. Die iranische Führung erhöhte daraufhin den Druck auf Demonstrant*innen und ging bei Verstößen gegen Kleidervorschriften deutlich härter vor.
Maßnahmen, um Proteste zu verhindern
Ob es jetzt – ein Jahr später – neue, groß angelegte Proteste geben wird, ist schwer zu sagen, sagt Karin Senz, ARD-Korrespondentin für den Iran. Denn das Regime wolle neue Proteste auf jeden Fall vermeiden – und tue alles dafür:
- Bereits im Vorfeld des Jahrestags wurden Aktivistinnen und Aktivisten festgenommen, die – laut Regime – "für Chaos sorgen" wollten. Auch ein Netzwerk, das von den USA angestiftet worden sein soll, sei zerschlagen worden.
- In die Heimatstadt von Jina Mahsa Amini sind in den vergangenen Wochen bereits zusätzliche Polizeieinheiten und Eingreiftrupps verlegt worden.
- Hotels sollen keine auswärtigen Gäste annehmen.
- Rund um das Grab von Jina Mahsa Amini sind Kameras installiert worden.
- Ihre Familie wurde gewarnt, keine Trauerzeremonie abzuhalten.
"Das Regime tut tatsächlich alles dafür, dass es morgen keine Proteste geben wird. Man möchte auf gar keinen Fall Bilder von blutigen Straßenschlachten zwischen Sicherheitskräften und Demonstrantinnen und Demonstranten."
Für westliche Journalistinnen und Journalisten ist es nicht leicht, aus dem Iran zu berichten. Karin Senz war im Sommer dort und konnte mit den Menschen reden – allerdings war das noch bevor das Regime die Daumenschrauben Mitte Juli wieder angezogen hat, wie sie sagt.
Vermeintlich unbeschwerte Atmosphäre
Oberflächlich betrachtet habe eine vermeintlich unbeschwerte Atmosphäre geherrscht. Frauen mit und ohne Kopftuch, mit kurzen Röcken und T-Shirt. Auf der Straße hätten Männer und Frauen zusammen zu Livemusik getanzt. Was für uns ganz normal klingt, sei es im Iran eben nicht, stellt Karin Senz klar.
"Ich habe da Frauen gesehen, nicht nur ohne Kopftuch – also die haben es gar nicht mehr dabei gehabt demonstrativ –, sondern die haben kurze Röcke und T-Shirts angehabt."
Was sie gesehen habe, sei "bemerkenswert" gewesen. Sie glaube, dass das sinnbildlich für das stehe, was die Proteste im Laufe des Jahres gebracht haben: ein neues Selbstbewusstsein nicht nur der Frauen, sondern vor allem der jungen Generation insgesamt, diesen bisher versteckten Lebensstil viel offener zu leben. Dennoch seien Bilder solcher Straßenfeiern inzwischen seltener geworden und es gebe wieder massive Einschränkungen.
Neue Formen der Überwachung und Einschüchterung
Frauen, die sich nicht an die strengen Kleidervorschriften halten, würden nach wie vor "sehr behelligt", sagt Karin Senz – doch eben anders als früher. Aggressiv auftretende Eingreiftrupps sehe man eher nicht mehr.
"Solche Trupps, wie das bei Jina Mahsa Amini der Fall war, die dann Frauen an den Haaren in diese Vans gezogen haben, die sehen wir eigentlich kaum noch. Zumindest habe ich keine Berichte mehr darüber bekommen."
Stattdessen setzt das Regime jetzt auf "Massenüberwachungssysteme", wie es Amnesty International nennt: Sehr viele Kameras sind inzwischen installiert worden. Mit diesen werden Frauen ohne Kopftuch regelrecht gescannt – etwa, wenn sie im Auto am Steuer sitzen. Anschließend könne es dann sein, dass der Wagen beschlagnahmt wird. Oder auch, dass den Frauen Rechte aberkannt werden – zum Beispiel, dass sie keine Bankgeschäfte mehr machen oder nicht mehr mit Bus oder Bahn fahren können.
Kameras und Aberkennung von Rechten
Sie bekommen eine offizielle SMS aufs Handy geschickt, in der sie gewarnt werden. Im Zweifelsfall erfolgt auch ein Zugriff. Die Frauen müssen teilweise hohe Geldstrafen zahlen.
Manche Frauen werden auch gezwungen, im Internet Reuebriefe oder Reueposts zu veröffentlichen, so die Korrespondentin. Dort stehe dann so etwas wie: Es war schrecklich, dass ich ohne Kopftuch unterwegs war. Ich werde das nie wieder tun.
"Die Frauen müssen teilweise hohe Geldstrafen zahlen. Man sagt, da hat das Regime schon regelrecht ein Geschäftsmodell daraus gemacht."
Aus den langen Protesten nach Jina Mahsa Aminis Tod sei das Regime schon ein Stück weit auch gestärkt hervorgegangen, meint Karin Senz. Es sei ihm gelungen, sie mit Brutalität erst Mal niederzuschlagen. Den Machthabern sei aber klar, dass "immens viel Druck im Kessel" steckt, wie unsere Korrespondentin sagt. Ein Funke könne das Ganze schnell wieder zum Überlaufen bringen. Wann das passiert – ob jetzt zum Todestag der Ikone Amini oder später – sei schwer zu prognostizieren.
Info: Unser Bild oben zeigt Frauen mit und ohne Kopftuch Ende Juli 2023 in der iranischen Hauptstadt Teheran.