Proteste im IranNatalie Amiri: "Sie schlagen auf die Menschen ein, weil es um ihr eigenes Überleben geht"
Bei den Protesten im Iran sind schon hunderte Menschen getötet worden. Die Machthabenden halten mit aller Gewalt am System fest - denn sie haben viel zu verlieren.
Im Iran kommt es seit Wochen zu Protesten. Diese sind "die schwerste Bedrohung für die iranische Republik seit dem Bestehen", sagt Natalie Amiri, die neun Jahre lang für die ARD aus dem Iran berichtet hat. Aber: Der Machtapparat im Iran ist groß und mächtig.
Er besteht unter anderem aus dem allmächtigen Religions- und Revolutionsführer Ali Chamenei, dem als ultrakonservativ geltenden Präsidenten Ebrahim Raisolsadati und der Armee der Wächter der Islamischen Revolution, auch als Revolutionsgarde bekannt.
Mächtige Revolutionsgarde und verhasste Miliz
Speziell diesem Teil der Armee, einer Eliteeinheit der Streitkräfte,
wird eine wichtige Rolle beim Machterhalt im Iran zugeschrieben, sagt
Natalie Amiri. Aus ihren Reihen kommen viele Männer in wichtigen
Positionen in Wirtschaft und Politik - beispielsweise der Innen-,
Außen-, Verteidigungs- und Ölminister, viele regionale politische Führer
oder Bürgermeister großer Städte. "Das sind alles Offiziere der
Revolutionsgarde", sagt Natalie Amiri. De facto habe sie die größte
Macht im Land.
"Die Basidsch-Milizen erhalten Unterstützung und Subventionen. Dafür müssen sie zuschlagen. Das ist der Deal."
Unterstützt werden sie von den sogenannten Basidsch-Milizen (oben im Foto), eine als inoffizielle Hilfspolizei eingesetzte paramilitärische Miliz des Iran, der sich Freiwillige anschließen. Wer dort mitmacht, erhält viele Vergünstigungen durch den Staat, etwa vereinfachten Zugang zu Studienplätzen, Konzessionen für Geschäfte, Subventionen für Benzin oder Lebensmittel. "Und dafür müssen sie zuschlagen", sagt Natalie Amiri, "das ist der Deal zwischen den Milizen und dem Machtsystem."
Die Basidsch-Milizen sind beteiligt an der gewaltsamen Unterdrückung der Proteste. Sie sind jetzt schon verhasst, sagt Natalie Amiri. Sollte das System fallen, hätten sie nichts mehr. "Sie schlagen auf die Menschen ein, weil es um ihr eigenes Überleben geht."
Mehr Millionäre im Iran
Teil des Machtsystem im Iran sind neben diesen Gruppen auch viele reiche Menschen, sagt Natalie Amiri - und von denen gibt es immer mehr: Die Zahl der Dollar-Millionäre im Iran ist laut dem aktuellen World Wealth Report der Unternehmensberatung Capgemini innerhalb eines Jahres von 205.000 auf 250.000 gestiegen. "Und auch die haben viel zu verlieren."
"Ich würde grob schätzen: 70/30. 70 Prozent sind gegen das Regime, 30 Prozent sind auf irgendeine Weise mit dem Staat verbandelt."
So groß das Machtsystem im Iran ist – so groß ist auch der Widerstand. "Egal wo ich in meinen neun Jahren Berichterstattung war, egal in welcher Provinz ich war, wie klein das Dorf war: Die Kritik am Regime war massiv, selbst bei religiösen Menschen", sagt Natalie Amiri. Doch auch innerhalb des Systems werde die Kritik lauter, spätestens seitdem Kinder die Opfer von Basidsch-Milizen geworden sind.