Seenot und KannibalismusInternationales Seerecht: Was auf hoher See gilt und was nicht
Im Mai 1845 gerät die HMS Terror in Seenot. An Bord kommt es zu Kannibalismus. Eine Notlage. Aber darf man das auf hoher See und welches Recht gilt auf Schiffen wann?
Wenn wir heute als Passagiere auf einem Kreuzfahrtschiff unterwegs sind und nicht in irgendwelchen Küstengewässern schippern, gilt das Recht des Schiffes, also des Flaggenstaates.
Das ist beispielsweise der Grund, warum viele Schiffe unter der Flagge Panamas fahren. Das ermöglicht den Reedern Arbeitsverträge nach dem panamaischen Recht zu schreiben. Für die Besatzung ist das schlecht, weil sie dadurch weniger verdienen. Für die Reeder ist es gut, weil sie Geld sparen.
Für Kreuzfahrende ist wichtig: Wenn ihr beispielsweise unter der Flagge der Malediven schippert, gilt die Scharia. Das sagt einem aber keiner. Nele Matz-Lück, Professorin am Walther-Schücking-Institut für internationales Recht in Kiel, bezweifelt aber, dass die Crew an Bord eines Kreuzfahrtschiffes großen Wert auf die Scharia legt.
Auf Kreuzfahrtschiffen sind wir noch mit deutschem Recht verbunden
Wenn es allerdings um strafrechtliche Belange an Bord geht, dann wären wir als deutsche Touristen nicht völlig dem gelten Recht des Schiffes unterworfen, sagt Nele Matz-Lück. "Jeder einzelne auf einem Kreuzfahrtschiff ist über seine Staatsangehörigkeit noch mit seinem Staat verbunden."
"Sollte Panama eine Straftat nicht verfolgen, kann man auch nach deutschem Recht herangezogen werden."
In dem Bericht über die HMS Terror, ein Schiff, das im Mai 1845 zu einer Expedition aufgebrochen und in Seenot geraten war, kam es an Bord zu Kannibalismus. Damals gab es noch kein Seerecht. Ist Kannibalismus in der Notlage erlaubt und wie ist das heute im Seerecht geregelt?
Kannibalismus ist im Seerecht nicht geregelt
Nele Matz-Lück räumt ein, dass es eine sehr schwierige Frage ist, denn im Seerecht ist Kannibalismus nicht geregelt. Ob und wie Kannibalismus unter bestimmten Umständen geahndet wird, sei kompliziert.
"Wenn der einzelne sich in einer Notsituation nicht zu helfen weiß, weil sein eigenes Leben bedroht ist, und er das Leben eines anderen nimmt, sind das ganz komplizierte ethische, moralische und auch strafrechtliche Fragen."
Grundsätzlich dürfe der einzelne sein eigenes Leben in einer Notlage höher bewerten, als das des anderen. Aber das habe nichts mit dem Seerecht zu tun, sagt Nele Matz-Lück.
Ähnlich ist es im Übrigen, wenn es beim Kentern eines Schiffes darum geht, das eigene Leben zu retten. Wenn wir dann beispielsweise jemand anderen aus dem Rettungsboot schubsen und töten, um dort selbst einen Platz einzunehmen und zu überleben, kann das straffrei sein - auch wenn es moralisches fragwürdig sei. Sie fügt aber hinzu: "Das ist aber kein Freifahrtschein, seine Mitmenschen umzubringen oder aufzuessen", sagt Nele Matz-Lück.
An Bord sorgen Kapitäne für Recht und Ordnung
Da es an Bord keine Polizei gibt, hat der Kapitän entsprechende Befugnisse. Kapitän oder Kapitänin haben die Pflicht, auf dem Schiff für Recht und Ordnung zu sorgen, sagt Nele Matz-Lück. Sie dürfen auch jemanden festhalten oder einsperren.
Hohe See ist kein rechtsfreier Raum
Auf hoher See gilt das internationale Seerecht, das 1982 ausgehandelt wurde und 1994 schließlich in Kraft trat. Das Seerecht regelt die Beziehung zwischen Staaten, sagt Nele Matz-Lück.
"Die hohe See ist ein souveränitätsfreier Raum aber kein rechtsfreier Raum."
Dieses Abkommen war damals aus vielen Gründen wichtig - unter anderem, um zu verhindern, dass kein einzelner Staat in bestimmten Gewässern einen Herrschaftsanspruch stellt – "also räumlich Territorium für sich beansprucht", so Nele Matz-Lück.
Gleichzeitig gelten aber Regeln für Schiffe und dafür, was Staaten auf hoher See dürfen. Dürfen sie zum Beispiel Fischen, oder künstliche Inseln aufschütten, oder durch die Freiheit der Meere Schiffe unter eigener Flagge fahren lassen?
Seerecht in manchen Punkten veraltet
Aus heutiger Sicht sei das internationale Seerecht in manchen Punkten veraltet oder lückenhaft, sagt Nele Matz-Lück: Beispielsweise spiele der Klimawandel darin keine Rolle und auch der Punkt Seenotrettung wurde unter anderen Voraussetzungen geregelt, so die Professorin. Die Pflichten zur Seenotrettung, die damals vereinbart wurden, seien überhaupt nicht auf die heutige Situation abgestimmt.