ArchitekturGroße Talsperren werden baufällig – Sanierung ist komplex
Weltweit erreichen immer mehr Talsperren das Ende ihrer angepeilten Lebenszeit. Das hat eine Studie der United Nations University in Kanada herausgefunden. Die Forschenden empfehlen den betroffenen Ländern deshalb, rechtzeitig nach Lösungen zu suchen.
Circa 58.700 große Talsperren mit einer Mauer von mindestens 15 Metern und einer Staumenge von über drei Millionen Kubikmetern Wasser gibt es weltweit. Die meisten von ihnen sind zwischen den 1930er und 1970er Jahren gebaut worden. Ihre angepeilte Lebensdauer damals: 50 bis 100 Jahre.
Viele der Bauten haben also ihre geplante Lebensdauer längst überschritten oder werden sie in spätestens zehn Jahren überschreiten. Hinzu kommt, dass sich die Wetterbedingungen in den letzten Jahren stark verändert haben. Ein Faktor, der beim Bau vieler Sperren damals nicht mit einberechnet wurde.
Die Forschenden der United Nations University in Kanada warnen deshalb mit ihrer Studie davor, die Talsperren zu lange außer Acht zu lassen. Denn vor allem in den letzten 15 Jahren haben sich Vorfälle mit durchgebrochenen Mauern aufgrund von extremen Wetterbedingungen gehäuft. Bei diesen Unglücken kamen jeweils hunderte von Menschen ums Leben.
Unbeachteter Faktor: Der Klimawandel
Vor allem starke Regenfälle und Überschwemmungen haben in den letzten Jahren zugenommen. Neben den großen Wassermassen ist dadurch noch ein weiteres Problem entstanden: Die Regenfälle können flussaufwärts auch zu Erosionen führen. Der abgetragene Schlamm und Schutt landet dann zusätzlich in den Flüssen und fließt von dort aus in die Talsperren. Viele alte Sperren würden so noch schneller an ihre Grenze kommen, erklärt Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Sabrina Loi.
Nachrüsten oder neu bauen?
Die große Frage ist allerdings: Wie rüstet man so ein großes Bauwerk nach? Würde man die Anlage für einen Neubau stilllegen, dann hätte das auch zur Folge, dass in diesem Zeitraum beispielsweise kein Strom erzeugt wird – mit Folgen für die Wirtschaft und die Region. Ob Renovierung oder Neubau – die Forschenden sind sich einig, dass beide Optionen eine teure Angelegenheit sind, allerdings noch teurer werden, je länger man damit warte.
"Kann man das Bauwerk einfach verbessern oder erneuern? Oder muss man es stilllegen? Was dann natürlich dazu führen würde, dass der eigentliche Zweck des Damms ja dann auch erstmal wegfällt."
Da solche Entscheidungen nicht von heute auf morgen getroffen werden, empfehlen die Forschenden den betroffenen Ländern dringend, so früh wie möglich ihre alten Talsperren zu prüfen und Kontrollstandards einzuführen. Auch ein internationaler Austausch über Erfahrungen bei Stilllegungen oder Renovierungen sei sinnvoll.
China hat die meisten gefährdeten Dämme
Diese Empfehlung richtet sich vor allem an die asiatischen Länder. Allein China hat 23.841 Talsperren. Die meisten davon werden bald die 50-Jahres-Marke überschreiten. Auch die 9263 Talsperren in den USA liegen fast alle an der Grenze ihrer Lebenserwartung.
In Europa ist im Durchschnitt jede zehnte Talsperre jetzt schon über 100 Jahre alt – vor allem in Großbritannien. Für Deutschland haben die Forschenden in ihrer Studie 371 große Talsperren angeführt, im Schnitt sind diese um die 70 Jahre alt. Eine explizite Warnung für Deutschland geht aus der Studie nicht hervor. Holger Schüttrumpf von der RWTH Aachen sagte zudem in einem Interview mit dem WDR, dass in Deutschland Talsperren und Staudämme nach einem standardisierten Verfahren alle paar Jahre komplett überprüft und gewartet werden.
Sanierung ist komplex
Auch Diplomingenieurin Barbara Tönnis hält ein Unglück mit Talsperren in Deutschland für ausgeschlossen. Sie ist beruflich nicht nur mit dem Planen, sondern auch mit dem Sanieren von Talsperren vertraut. Sollte es doch mal zu dem Fall kommen, dass eine Talsperre saniert werden muss, sei der häufigste Grund, dass die Dichtung an der Wasserzugewandten Seite der Sperre nicht mehr ganz funktionsfähig sei.
"In den letzten Jahren sind es immer mehr die Dichtungen, die undicht werden und das Wasser langsam von der Wasserseite durch das Absperrbauwerk auf die Luftseite sickern kann."
Szenario Rurtalsperre
Der Stausee an der Rurtalsperre ist der zweitgrößte Stausee Deutschlands. Umgerechnet in Badewannen: tausend Millionen Badewannen voller Wasser. Sollte man hier den See für eine Sanierung der Staumauer ablassen müssen, würde das nicht nur drei bis vier Wochen dauern, sondern auch mit einem erheblichen Aufwand zusammenhängen.
Beispielsweise müssten alle im Stausee lebenden Lebewesen für die Zeit der Sanierung abgefischt oder herausgeholt werden. Zudem dürfe es weder zu Überschwemmungen unterhalb der Talsperre kommen, noch dürfe der Grundwasserspiegel auf der Höhe des Stausees durch das Ablassen des Wassers zu sehr sinken.
Die Sanierung einer Talsperre ist also ein komplexer und komplizierter Vorgang. Ganz ablassen muss man einen Stausee aber nur bei der Sanierung einer Staumauer, also also einem flachen Mauerwerk aus Beton. Bei Staudämmen, die aus einer Erdaufschüttung bestehen, reiche manchmal eine Teilabsenkung des Wassers, erklärt Barbara Tönnis. Denn hier gebe es auch die Möglichkeit, eine Betonwand von oben in die aufgeschüttete Erde einzuschieben und den Damm so abzudichten.