Im Delirium100 Jahre Koma
Boris Razon ist 29 Jahre alt, als er eine sehr seltene und lebensbedrohliche Krankheit bekommt. Innerhalb von einer Woche ist er gelähmt. Sein Gehirn erzeugt außerdem absurde Halluzinationen.
Beim Besuch des dritten Arztes ahnt Boris Razon: Ich habe eine ernste Krankheit. Das kribbeln im Finger war nur der Anfang. Die Schmerzen lassen sich nicht mehr leugnen. Er erschrickt, als er im Spiegel seine Pupillen sieht: Eine ist plötzlich größer als die andere. Und ein Spezialist in der Notaufnahme bestätigt ihm: Ein neurologisches Problem.
"Vielleicht ein Virus... oder eine Autoimmunkrankheit... Sie könnten gelähmt sein und sogar ins Koma fallen! Es war der komplette Wahnsinn."
Boris kommt aufs Krankenzimmer und versteht gar nichts mehr. Bald hat er 10 Antivirenmedikamente im Blut, ohne dass man genau weiß, was er hat. Er fühlt sich immer müder, taub, oder etwa schon gelähmt? Er sitzt im Krankenzimmer und kann die Tasten der Fernbedienung für den Fernseher nicht mehr drücken. Bald liegt er nur noch. Das Luftholen fällt immer schwerer, er ruft seine Frau ein letztes Mal an, bevor er an die Beatmungsmaschine angeschlossen wird.
Noch bis vor kurzem führte Boris ein wundervolles Leben: Seine Frau Caroline ist Anwältin, Boris ist Chef der Onlineausgabe von Le Monde. Beide leben zusammen in Paris. Boris ist ein Erfolgsmensch, Workaholic, wildes Haar, raucht gern. Und nun diese rätselhafte Krankheit.
Boris driftet ab in eine Phantasiewelt
Kurze Zeit verständigt sich Boris noch über eine Buchstabentafel. Durch Zwinkern. Dann kann er auch die Augenlider nicht mehr bewegen. Man klebt sie ihm zu, gegen das Austrocknen. Und dann beginnen merkwürdige Visionen und Halluzinationen. Boris sieht Blitzlichtfotografen, phantasiert von Verbrechern, Feuerwehrmännern und Geishas. Endlos zieht sich das hin. Es fühlt sich für Boris an wie 100 Jahre.
Die Ärzte wissen plötzlich, welche Krankheit Boris hat: es ist das Guillain-Barré-Syndrom. Eine seltene Nervenentzündung, nur ein bis zwei Menschen von 100000 bekommen sie, und Boris hat eine besonders schwere, atypische Form.
"Es war wie eine wildgewordene Psychoanalyse. Die Kräfte des Lebens, des Todes, der Sexualität, der Gewalt, all das kämpft in unserem Innern."
Guillain-Barré tritt häufig nach anderen Infektionen auf, warum und wie genau, weiß man nicht, auch nicht bei Boris. Er bekomme Antikörper, Antibiotika. Letztlich müsse der Körper die Krankheit selbst überwinden, sagen die Ärzte. Bei Boris sei keine Verschlechterung in Sicht, mehr könne man nicht sagen. Aber je jünger der Patient, desto größer die Chance auf den so genannten "Aufstieg".