Schwulsein 1969"Man war immer mit halbem Fuß ein Krimineller"
Bis 1969 war Schwulsein in der Bundesrepublik Deutschland strafbar. Seit 1973 war die Liebe zwischen Männern erlaubt - zumindest wenn alle Beteiligten volljährig waren. Doch Paragraf 175 des Deutschen Strafgesetzbuches - auch bekannt als "Schwulenparagraf" - wurde erst heute vor 20 Jahren abgeschafft. Wie Männer ihre Liebe damals gelebt haben und mit welchen Einschränkungen, erzählt Hasso Müller-Kittnau - Jahrgang 1953.
Hasso Müller-Kittnau ist heute Sprecher des Lesben- und Schwulenverbandes im Saarland. Im Jahr 1969 war er 16 Jahre alt, lebte in Saarbrücken und war frisch verliebt - in seinen damaligen Freund. Solange beide noch nicht volljährig waren, sei das kein Problem gewesen, erzählt Hasso Müller-Kittnau im Interview. Als beide volljährig wurden, war das Schwulsein plötzlich ein Problem: "Die Regel damals war: Wenn eine Person über 18 mit einer Person unter 21 eine homosexuelle Beziehung hatte, dann war das strafbar. Wir haben uns dann aus Spaß immer gefragt: 'Wer von uns ist denn jetzt über 18 und wer unter 21?'"
"Man wollte damit Homosexualität bei der Bundeswehr ausschließen. Ich galt damals als 'leistungsfunktionsgestört' - das heißt, Schwule wurde nicht zur Armee eingezogen. Für das Attest habe ich gerne 15 Mark bezahlt."
Schwul ja, aber nur über 18
Vier Jahre später hatte sich das Problem erledigt - denn 1973 waren Hasso und sein Freund über 21 Jahre alt. Damals änderte sich auch die Gesetzeslage: Seit 1973 galt für Schwule die Straflosigkeit nach Vollendung des 18. Lebensjahres. Ganz abgesehen von den gesetzlichen Regelungen sei die Schwulenszene in Saarbrücken damals sehr überschaubar gewesen - und natürlich geprägt von der Strafbarkeit. Viele Schwule hätten sich gegen Schläger, die zum Beispiel Kneipen aufgemischt haben, nicht gewehrt - aus Angst, weil sie ja wussten, dass ihr Schwulsein strafbar war.
"Ich war 16 oder 17 als ich das erste Mal in eine Schwulenkneipe mitgenommen wurde. Da musste man an die Tür klopfen, die Inhaberin guckte hinter einem Vorhang hervor, dann wurde man eingelassen. Es ging nur darum Schläger rauszuhalten."
Endlich straffrei
Hasso Müller-Kittnaus Eltern waren entsetzt, als sie erfuhren, dass ihr Sohn schwul ist. "Sie hatten die Hoffnung mich nochmal hinzukriegen und wollten mich in eine geschlossene psychiatrische Anstalt stecken. Davon haben sie dann aber doch abgesehen." Heute kann Hasso Müller-Kittnau darüber lachen, doch damals sei die Situation für ihn und viele andere Schwule nicht leicht gewesen. Das habe sogar bis zur Abschaffung des Schwulenparagrafen im Jahr 1994 angedauert: "So ein Verband wie der Lesben- und Schwulenverband konnte ja gar nicht existieren, solange die Strafbarkeit noch da war."