Internationale GeberkonferenzGroßteil der Hilfsgelder für Syrien landet beim Assad-Regime
Seit 11 Jahren herrscht in Syrien Bürgerkrieg. Mehr als eine halbe Million Menschen sind dabei ums Leben gekommen, große Teile des Landes sind zerstört – und doch hat man das Gefühl, dass im Moment niemand darüber redet. Stimmt nicht. In Brüssel findet gerade – unter dem Vorsitz von EU und UN – eine internationale Geberkonferenz statt. Das Problem: Das Geld, das dort seit Jahren für die Menschen in Syrien gesammelt wird, kommt offenbar nicht dort an, wo es gebraucht wird. Sondern landet in den Händen des Assad-Regimes.
Das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit wie auch die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte gehen von mehr als 500.000 Menschen aus, die seit Beginn des Konflikts gestorben sind. Etwa 6,6 Millionen Menschen sind nach UN-Angaben aus Syrien geflohen – mehr als 6,7 Millionen Menschen sind innerhalb Syriens auf der Flucht.
Konferenz Nummer 6
Es ist bereits die sechste "Brüsseler Konferenz zur Unterstützung der Zukunft Syriens und der Region". Internationale Gemeinschaft und Europäische Union erörtern am 9. und 10. Mai die Lage in dem vom Krieg gezeichneten Land. Sie bekräftigen politische Zusagen und mobilisieren finanzielle Unterstützung.
"Jedes Jahr werden in Brüssel Milliarden zugesagt – und doch geht es den Menschen in Syrien schlechter als je zuvor. Eltern verzichten auf Mahlzeiten, weil sie nicht wissen, wie sie sonst ihre Kinder satt kriegen."
Das Problem: Jedes Jahr werden in Brüssel Milliarden zugesagt – 80 Prozent davon kommen von EU und USA – und doch geht es den Menschen in Syrien schlechter als je zuvor, sagt die Journalistin Kristin Helberg. Die Nahostexpertin hat sieben Jahre als Korrespondentin aus Damaskus berichtet und ist Autorin des Buches "Der Syrienkrieg".
90 Prozent der Syrer lebten unter der Armutsgrenze, es herrsche eine "wahnsinnige Inflation", die Preise seien immens gestiegen. Eltern würden auf Mahlzeiten verzichten, weil sie nicht wissen, wie sie ihre Kinder sattbekommen können.
Ein geteiltes Land am Abgrund
Syrien ist in vier Teile geteilt. In jeder dieser vier Regionen gebe es verschiedene Probleme, erklärt Kristin Helberg.
- In den von seinem Regime kontrollierten Gebieten bestimmt allein Assad, wem geholfen wird und wem nicht. Das Regime kontrolliert die Not, belohnt die eigenen Anhänger und bestraft die Gegner. Menschen werden teilweise nicht zurück in ihre Wohngebiete gelassen. Und sie brauchen mitunter eine Geheimdienst-Genehmigung, um überhaupt Nahrungsmittel zu bekommen.
- Im Nordosten des Landes wird etwa ein Drittel des Gebietes autonom verwaltet, überwiegend von einer kurdischen Partei. Dort hat eine jahrelange Dürre dafür gesorgt, dass das Land gar nicht mehr den Weizen anbauen kann, den es dringend benötigt, um Brot produzieren zu können.
"In der Provinz Idlib haben die Menschen unter 20 keine Perspektive. Laut Save the Children werden 20 Prozent aller Selbstmorde in der Region von Kindern und Jugendlichen begangen."
- Im Nordwesten des Landes, in der Provinz Idlib, sitzen hunderttausende Menschen entlang der türkischen Grenze fest. Sie leben in Zelten, versinken im Matsch und leiden unter der Hitze im Sommer. Die Kinder gehen nicht zur Schule, weil sie mitarbeiten müssen, um zu überleben. Laut Save the Children werden 20 Prozent aller Selbstmorde in der Region von Kindern und Jugendlichen begangen.
- In den türkischen Protektoraten im Norden des Landes kämpfen syrische Statthalter – verschiedene von Ankara finanzierte Islamisten-Milizen – um Zölle und Abgaben.
40 Milliarden US-Dollar hat der Westen in den letzten zehn Jahren für Syrien ausgegeben. Eigentlich sind diese Milliarden dafür gedacht, dass die Regierung die Infrastruktur wieder aufbaut und den Menschen hilft – mit Nahrung, Bildung und Sicherheit. Doch das klappt nicht, Hilfsorganisation sprechen von einer Katastrophe.
Humanitäre Hilfe als politisches Instrument
Das Assad-Regime – nach wie vor an der Macht – hat die internationale humanitäre Hilfe zu einem sehr effektiven politischen Instrument gemacht, sagt Kristin Helberg. Es schöpfe Hilfen ab, leite sie um und nutze sie für eigene Zwecke.
Es lege nämlich die gesamten UN-Organisationen darauf fest, einen – künstlich – niedrigen Wechselkurs zu benutzen. Laut Center for Strategic and International Studies (CSIS) landen von jedem Hilfsdollar, der ausgegeben wird, 51 Cent bei der syrischen Zentralbank, die damit ihre eigenen Devisenbestände auffüllt. Dieses Geld – also mehr als die Hälfte – landet so direkt beim Regime.
"Von jedem Hilfsdollar, der ausgegeben wird, landen 51 Cent bei der syrischen Zentralbank – also direkt beim Assad-Regime."
Die UN-Unterorganisation können nur das machen, was das Regime ihnen ermöglicht. Ohne Genehmigungen und Erlaubnisse kann dort, wo geholfen werden kann, aber nicht geholfen werden. Die wichtige Verteilung der Hilfsgelder dominiert aber ebenfalls das Assad-Regime: Die Gelder gehen meist an Organisationen, die der Familie Assad nahestehen, berichtet Kristin Helberg – zum Beispiel an die Nichtregierungsorganisation der First Lady persönlich.
Diese Organisation steht aber gleichzeitig auf der Sanktionsliste Europas, weil sie an der Gewalt der letzten Jahre beteiligt war bzw. das Regime versorgt hat. Das bedeutet: Am Ende landet deutsches Geld – und Deutschland ist der größte bilaterale Geber der gesamten UN-Hilfe, sagt Kristin Helberg – genau bei der Organisation, die wir eigentlich sanktionieren.
Das Hilfssystem der UN funktioniert nicht
Die Situation ist frustrierend – denn die Menschen im Stich lassen möchte man natürlich auch nicht. Die gesamte UN-Hilfe müsste grundlegend reformiert werden, sagt Kristin Helberg. Es könne nicht sein, dass sich UN-Unterorganisationen vor Ort auseinanderdividieren lassen und "einzelne UN-Vertreter jetzt schon fast loyal zum Regime sind".
Es brauche zum Beispiel einen unabhängigen Bedarfsplan. Entweder das Regime stimme diesem Bedarfsplan zu – oder es würden dann eben auch mal Hilfen zurückgehalten, schlägt Kristin Helberg vor.
Es geht um die Menschen in Syrien
In ganz Syrien werden Waren ausgetauscht – zum Beispiel Nahrungsmittel, aber auch Öl, Waffen, Drogen oder Menschen. Der Schwarzmarkt innerhalb der Kriegswirtschaft floriert. Von diesem Handel würden aber fast immer nur die bewaffneten Gruppen profitieren, sagt Kristin Helberg.
Sie schlägt vor, den Versuch zu unternehmen, die Gebiete im Norden besser miteinander zu verbinden. Man müsste zum Beispiel schaffen, die verschiedenen Machthaber auf Augenhöhe an einen Tisch zu bringen, um etwa darüber zu sprechen, wie man Zitrusfrüchte oder Öl von A nach B bringen kann und welche Bedingungen dabei eingehalten werden müssen.
Vor allem sollte es darum gehen, wie das Ganze günstiger und geregelter für die Bevölkerung werden kann. Das würde den Alltag der Menschen konkret erleichtern – und genau um die geht es.
Hinweis der Redaktion: Am 13.05.2022 wurde dieser Text ergänzt.