Terroranschlag in HalleGefahr für Synagoge falsch eingeschätzt
Nachdem ein mutmaßlicher Täter am 9. Oktober zwei Menschen auf offener Straße in Halle erschossen hat, sind Fragen zu seinem rechtsextremen Hintergrund und dem mangelnden Schutz der Synagoge offen.
Bei den beiden Opfern des Terroranschlags vom 9. Oktober in Halle handelt es sich um eine 40-jährige Frau, die in der Nähe der Synagoge gewohnt hat. Sie habe den mutmaßlichen Täter angesprochen, der sie daraufhin erschossen habe. Das zweite Opfer ist ein 20-jähriger Maler, der in dem Dönerladen Mittagspause machen wollte. Beide Menschen sind dem mutmaßlichen Täter rein zufällig zum Opfer gefallen.
Außerdem sind in Landsberg, wohin der mutmaßliche Attentäter floh, ein Paar, 40 und 41 Jahre alt, das dort ein Geschäft betreibt, angeschossen worden. Sie mussten notoperiert werden und sind inzwischen außer Lebensgefahr.
Mutmaßlicher Täter wollte Massaker verüben
Der mutmaßliche Täter hat noch auf weitere Personen gefeuert, ihm wird versuchter Mord in neun weiteren Fällen vorgeworfen. Wäre es ihm gelungen, in die Synagoge in Halle einzudringen, wären ihm wohl noch weitere Menschen zum Opfer gefallen.
Mangelnde Sicherheit für Synagoge
Inzwischen wird stark kritisiert, dass vor der Synagoge kein Polizeischutz vor Ort war, obwohl dort an dem Tag Jom Kippur, das Versöhnungsfest, gefeiert wurde. Der Innenminister Sachsen-Anhalts, Holger Stahlknecht von der CDU, sagt, dass die Gefährdungsanalyse keine akute Gefahr für die Synagoge ergeben habe. Daher wurde die Schutzmaßnahme 6 angeordnet, nach der nur in unregelmäßigen Abständen ein Polizeiwagen vorbeifährt. Aus diesem Grund befand sich zur Tatzeit kein Streifenwagen in der Nähe der Synagoge.
Bundesweit sollen jetzt die Gefährdungslagen für die Synagogen überprüft und deren Schutz gegebenenfalls verstärkt werden. Und: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) wollen konsequent gegen Hass im Netz vorgehen.
Der mutmaßliche Täter hat die Waffen und Sprengsätze offenbar selbst zusammengebaut und führte kiloweise Sprengstoff in seinem Auto mit sich. Seine Tat hat er gefilmt und ins Netz gestellt. Dabei hat er wohl versucht, das Attentat in Christchurch (Neuseeland) im März dieses Jahres nachzuahmen.
Hatte der Täter Unterstützer?
Was bislang ungeklärt ist: Wie ist der mutmaßliche Täter an die Waffen gelangt? Hatte er Unterstützer? Für Bundesstaatsanwalt Peter Frank ist eindeutig, dass der mutmaßliche Täter ein Massaker anrichten wollte. Außerdem hat er bestätigt, dass das Video, das im Netz kursiert, eindeutig dem mutmaßlichen Täter zuzuordnen ist. Das findet der ARD-Terrorismusexperte Holger Schmidt bemerkenswert. Auch dass das PDF-Dokument, das "Manifest" des mutmaßlichen Attentäters, laut Bundesstaatsanwalt eindeutig zum Fall gehöre.
Mit dem Begriff Einzeltäter müsse man vorsichtig sein, sagt Schmidt. Auch wenn sich bislang alle einig seien, dass nur ein Täter unterwegs gewesen sei. Offen ist nach wie vor, wie das Umfeld des mutmaßlichen Täters aussieht und welche Hilfe er eventuell für den Anschlag erhalten habe.
Material aus dem Darknet
Nach den ersten Ermittlungen spreche viel dafür, dass Chemikalien, Waffen und technischem Gerät zu großen Teilen aus dem Darknet komme, sagt Holger Schmidt. Das Darknet gilt als Plattform für kriminelle Geschäfte. Es sei möglich, dass sich dort Spuren zu Menschen finden lassen, die ahnen oder wissen konnten, was der mutmaßliche Täter tatsächlich vorhatte, sagt Holger Schmidt.
"Beim Anschauen des Videos ist für mich sehr deutlich gewesen, dass der Attentäter an die Tat des Attentäters von Christchurch anknüpfte. Vieles was der Täter gestern getan hat, erinnert ganz stark an dieses Video, das der Christchurch-Attentäter ins Netzt gestellt hatte."
Die selbstgebauten Waffen und Sprengsätze haben Holger Schmidt insofern sehr beeindruckt, weil sie auf ihn "sehr gelungen" wirkten. Er kenne aus anderen Verfahren Gruppierungen, die aus handwerklichen Gründen nicht in der Lage seien, selbst Waffen herzustellen. Dass es dem mutmaßlichen Attentäter gelungen sei, erschrecke ihn.
Unkultur grenzenloser Fremdenfeindlichkeit und des Hasses
Holger Schmidt hält es für gefährlich, dass bestimmte Gruppen im Netz hemmungslos über Randgruppen und Andersdenkende herziehen, wo Gewaltphantasien freien Lauf gelassen werde und sich scheinbar grenzenlos Fremdenfeindlichkeit verbreiten kann.
"Ein solches Klima bestärkt Leute, die selbst Hass-Ideen haben. Je mehr sie von dem Hass im Netz hören, desto eher glauben sie, dass das, was sie denken, mehrheitsfähig ist."
Der Täter hat seine Tat ins Netz gestellt, weil er der Meinung sei, dass es viele Menschen gebe, die das gut finden, was er macht. So ein Eindruck kann solche Taten befördern, warnt Holger Schmidt.