Aktionen im Netz gegen RusslandKrieg: Hackerangriffe könnten mehr Schaden als Nutzen bringen

Das "Hackerkollektiv" Anonymous hat begonnen, Ziele im russischen Netz anzugreifen. Was bringt dieses Guerilla-Hacking? Es gibt Stimmen, die das sehr kritisch sehen. Weil auf diese Weise zur Eskalation beigetragen werden könnte.

Der Digitalminister der Ukraine hat am Wochenende Freiwillige zum Aufbau einer IT-Armee“ aufgerufen, um auch an der "Cyber-Front" russische Angriffe abzuwehren oder zum Gegenangriff überzugehen. Das Hackerkollektiv Anonymous hat daraufhin Russland den Krieg erklärt und damit begonnen, Netzziele in Russland anzugreifen.

Dieser Schritt wird durchaus auch kritisch gesehen. Die Sorge: Hacker könnten eine Eskalationsspirale entfachen. Ob das einen Nutzen für die Ukraine habe, sei nicht klar. Wenn Hacker auf eigene Faust Anschläge im Netz durchführen, kann das Schaden anrichten, über dessen Bedeutung oder Tragweite sie sich vielleicht gar nicht im Klaren sind. So warnen auch deutsche IT-Expert*innen – darunter Manuel Atug, Sprecher der unabhängigen AG KRITIS – davor, dass durch solche Attacken möglicherweise ein Krankenhaus lahmlegt werden könnte oder andere wichtige Infrastruktur.

"Außerdem gibt man der russischen Regierung ein super Argument für die Warnung vor möglichem Cyber-Terrorismus."
Michael Gessat, Deutschlandfunk-Nova-Netzreporter

Auf diese Weise könnten unschuldige Menschenleben in Russland gefährdet werden. Zudem liefere das der russischen Regierung dann ein Argument für ihr "Terroristen"-Narrativ. Hacker könnten auf diese Weise zur Eskalation des Krieges beitragen.

Auch daher wäre es sinnvoll, Cyber-Gegenangriffe zu koordinieren und zum Beispiel Listen mit vermeintlich legitimen Angriffszielen aufzustellen. Genau das hat die ukrainische Regierung bei ihrem „IT-Armee“-Projekt gemacht. Das Problem dabei: Hacker und Experten, die qualifizierte Cyber-Abwehr oder Cyber-Angriffe beherrschen, sind nicht leicht zu finden. Ohne Spezialwissen lässt sich aber wahrscheinlich wenig mehr erreichen, als einige Webseiten mit Überlastungsangriffen kurzfristig lahmzulegen.

Der Mythos von Anonymous

In diesem Zusammenhang räumt Netzautor Michael Gessat mit dem Mythos Anonymus als organisierte Armada von Hackern auf. "Anonymus ist eigentlich eine Medien-Ente oder ein selbst inszenierter Mythos. Jede*r, der/die unter der Flagge des Maskensymbols mitmacht, ist Teil von Anonymus." Das seien im Zweifel auch Teenager, die ihre ersten Versuche mit Hacks im Netz machen.

"Im Zweifel sind Anonymus auch ein paar Skript-Kiddies, die außer ein paar lahmen Hacker-Tricks nichts können."
Michael Gessat, Deutschlandfunk Nova

Manchmal starten unter dem Label Anonymous allerdings auch versiertere Cyberaktivisten Aktionen, indem sie eine Website verunstalten oder Daten leaken. Eine jüngst (28.02.2022) bekannt gewordenen Anonymus-Aktion findet Netzautor Michael Gessat hingegen eher lächerlich. Unter anderem wurde Putins Yacht im maritimen Tracking-System von "Graceful" in "FCKPTN" umbenannt.

Sinnvolle Aktionen – sinnlose Aktionen

Dass die Aktionen aber komplett ohne Wirkung seien, lasse sich daraus nicht schließen. Zumindest schütten sie etwas Sand ins Getriebe der russischen Politik, findet Michael Gessat: "Zum Beispiel war gestern eine Einblendung auf der Seite der staatlichen Nachrichtenagentur Tas. Da war ein Aufruf an die russischen Bürgerinnen und Bürger, dass sie den Wahnsinn stoppen und aufhören sollen, Söhne und Ehemänner in den Tod zu schicken. Außerdem sollten sie Putins Lügen erkennen." Unser Netzreporter ist der Meinung, dass solche Hacks helfen könnten, dass russische Bürger einen anderen Blick auf die zensierten Informationen im Land bekommen.