Lebensgeschichte(n)Wie wir mit unseren Großeltern connecten
Erik trifft seine Oma nicht nur zum Kuchenessen, die beiden können über alles reden. Stefan Zeppenfeld ist Historiker und führt beruflich Interviews mit Zeitzeugen. Er erklärt, wie wir mehr über die Lebensgeschichte unserer Großeltern erfahren können.
Der Altersunterschied zwischen Erik und Erika beträgt fast siebzig Jahre. Und doch verbindet Enkel und Oma mehr als Kaffee und Kuchen bei obligatorischen Familienfeiern. Die beiden sehen sich mindestens alles zwei Monate. Leckeres Essen und Beisammensitzen gehört bei ihnen zwar dazu, ihre Gespräche haben aber seit jeher auch eine ganz persönliche Note.
Dem anderen ein offenes Ohr schenken
Erikas Leben mit Anfang zwanzig war ein diametral anderes als das, das ihr Enkel jetzt führt. Er lebt ihrer Ansicht nach viel freier, als das damals für sie möglich gewesen wäre. Schließlich wurde sie mit Anfang zwanzig Mutter und studierte nebenher. Erik sagt, das könne er sich noch gar nicht vorstellen. Für ihn wäre schon die Anschaffung einer Hauskatze ein großer Schritt.
"Eriks Lebenswirklichkeit ist eine ganz andere als meine damals. Es gefällt mir sehr, dass mein Enkel sich ausprobieren kann und sich davon überraschen lassen kann, was das Leben bringt."
Obwohl Erik und Erika eine enge Bindung haben und Erik sagt, dass er sich nicht vorstellen kann, seiner Oma etwas nicht zu erzählen, gibt es auch bei den beiden hin und wieder schwierigere Themen. Die Tatsache, dass Eriks Mitbewohner schwul ist, war anfangs so ein Fall, erzählt Erika. Aber da sie große Stücke auf ihren Enkel hält, hat sie gelernt, mit der für sie ungewöhnlichen Konstellation umzugehen.
Konflikte und Missverständnisse über Kommunikation lösen
Es geht also nicht darum, keine Konflikte zu haben. Sondern um die Bereitschaft, eine Lösung zu finden und ein offenes Ohr für die oder den anderen zu haben.
"Ich profitiere viel davon, was meine Oma schon erlebt hat und was sie mir erzählen kann."
Wenn der Austausch nicht so intuitiv erfolgt wie bei Erik und Erika, kann man ihn aktiv herstellen, sagt Stefan Zeppenfeld. Als Historiker an der Ruhr-Uni Bochum beschäftigt er sich mit der Methode der Oral History, also der (wörtlich übersetzt) mündlichen Geschichte.
Oral History für zuhause: den Austausch mit älteren Familienmitgliedern aktiv angehen
Dabei geht es darum, dass Zeitzeug*innen historische Ereignisse aus ihrer Sicht widerspiegeln. Im Fokus steht nicht die objektive oder historisch korrekte Darstellung von Vorkommnissen, sondern die individuelle Perspektive auf einen spezifischen Zeitabschnitt.
Der Ansatz der Oral History kann auch auf Gespräche oder Interviews mit Familienmitgliedern übertragen werden, meint Stefan Zeppenfeld. Voraussetzung sei ein offenes und ehrliches Interesse daran, zu hören, was der Großvater oder die Großmutter erlebt hat.
"Ich rate dazu, die Erzählung erst einmal geschehen zu lassen. Nachfragen sollte man sich für danach aufheben."
Der oder die Interviewte soll frei erzählen, sagt Stefan Zeppenfeld, sinnieren, zwischendurch lachen, gerührt sein, ins Erinnern kommen. Und wir, die Zuhörenden, sind live bei diesem sehr persönlichen Moment dabei.
Auch Erika rät dazu, älteren Familienmitgliedern Fragen zu stellen. "Ich habe das bei meinen Eltern nicht getan", sagt sie. Umso mehr ermutigt sie ihren Enkel, das nicht nur bei ihr zu tun, sondern auch bei seinen eigenen Eltern. Die Fragen zu ihrem Leben kommen so oder so, sagt sie aus eigener Erfahrung. Daher sollte man die Chance ergreifen und die Fragen stellen, solange die Eltern noch am Leben sind.