Prävention und DeeskalationGewalttätige Kunden: Wie sich Verkaufspersonal im Einzelhandel schützt
Vorweg: Es gibt keine Statistik über die Zunahme von Gewalt gegenüber Verkaufspersonal im Einzelhandel. Doch Verkäuferinnen und Verkäufer klagen immer öfter über gewalttätige Kunden. Beschwerden landen vor allem bei Berufsgenossenschaften und Gewerkschaften. Die haben auch konkrete Tipps, wie sich Verkäuferinnen und Verkäufer schützen können.
"Eine genaue Erhebung der Zahlen ist gar nicht möglich, weil uns die meisten dieser Unfälle gar nicht erst gemeldet werden", erklärt Martin Wuttke ist Aufsichtsperson der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik. Weil eine statistische Erfassung fehle, sei es auch schwer zu beurteilen, ob es mehr und schlimmer werde. Die Klagen der Verkäuferinnen und Verkäufer über Gewalt im Einzelhandel nehmen aber zu. Sicher sei, dass sich die Gewalt gegenüber Verkaufspersonal wandele, was er damit begründet, dass generell ein Kulturwandel stattfinde.
Gewalttätigkeiten die als Unfälle gemeldet werden
Wenn es bei den gewalttätigen Ausbrüchen von Kunden gegenüber Verkäuferinnen und Verkäufern zu Verletzungen kommt, dann landen diese als Unfälle bei Martin Wuttke.
"Verbale Gewalt wird nicht gemeldet, da wird auch nichts weitererzählt."
Gegenüber dem ZDF kritisiert der Bundesfachgruppenleiter Einzel- und Versandhandel bei der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Orhan Akman, dass es keine Meldestellen für diese Art von Aggressionen gebe. "So etwas taucht in keiner amtlichen Statistik auf. Da werden die Beschäftigten von den Unternehmen und von der Politik im Stich gelassen", so Orhan Akman gegenüber dem ZDF. "Vor allem im Einzelhandel beschäftigte Frauen werden tagtäglich beschimpft, bedroht oder bespuckt. Das ist traurige Realität", sagt der Gewerkschaftsvertreter.
Deeskaltationstraining für Verkaufspersonal
Damit es bei den gewalttätigen Ausbrüchen der Kunden nicht automatisch bis zu einer Verletzung des Verkaufspersonals kommt, bietet Martin Wuttke Trainings für den Umgang mit "konfliktbereiten Kunden" an.
"Wenn es gut läuft und ich bestimmte Techniken kenne, kann ich das von vorneherein beeinflussen. Ich kann deeskalierende einwirken, damit es erst gar nicht bis zum Letzten kommt."
Martin Wuttke erklärt, dass es zunächst einmal unterschiedliche Kundentypen geben, die mehr oder weniger konfliktbereit sind oder eskalieren.
Verbale oder körperliche Gewalt
Bei der Aggression macht er die Abstufung zwischen verbaler und körperlicher Gewalt. Besonders gewalttätige Ausbrüche wie die Ermordung des Tankstellenangestellten in Idar-Oberstein oder Messerattacken seien eher Einzelfälle.
"Die Masse der Fälle passieren auf der eher niedrigeren Gewaltstufe, deshalb muss man hier präventiv ansetzen."
Die meisten Fälle von Gewalt gegenüber Verkäuferinnen und Verkäufern spiele sich auf einer niedrigeren Stufe ab. Deshalb sei es besonders wichtig, für diese Fälle Techniken einzuüben.
Übungen für Verkäuferinnen und Verkäufer:
Notbremse-Technik: Eine Person auszubremsen, die verbal attackiert
- Nonverbal: signalisieren, dass es eine Grenze gibt, selbstbewusst auftreten
- Verbal: Rückfragetechniken, Botschaften senden
- Selbsterkenntnis: eigene Grenzen ausloten, ab wann Attacken Grenze überschreiten, Selbstreflexion und lernen, Aggressor einzuschätzen
Beispiel: ein aggressiver Kunde betritt den Laden
- sachlich bleiben, klaren Kopf behalten
- Hilfe holen, Kolleginnen oder Vorgesetzte rufen, um Überlegenheit zu schaffen
- Lösungsmöglichkeiten anbieten in Bezug auf das Problem des Kunden
"Es gibt kein Rezept, das pauschal hilft."
Nachsorge nach Gewaltattacke für Veräuferinnen
Wenn dann aber ein Konflikt mit einem Kunden eskaliert ist, dann ist es für die betroffene Verkäuferin oder den Verkäufer wichtig, dass es eine "Nachsorge" gibt. Dafür arbeitet Martin Wuttke mit Psychologen und Psychologinnen zusammen. Diese ermitteln, ob bei der betroffenen Person Gespräche oder eine Therapie erfolgen sollten, sodass die Person psychologisch betreut werden kann.
Psychologische betriebliche Ersthelfer
Eine andere Möglichkeit ist, psychologische betriebliche Ersthelfer im Unternehmen auszubilden, sagt Martin Wuttke. Diese wären dann vor Ort und könnten akut helfen und Kolleginnen oder Kollegen nach einem Vorfall mit einem aggressiven Kunden unterstützen.
Ob so etwas möglich ist, hänge von der Größe des Unternehmens und davon ab, ob es Mitarbeitende gebe, die sich für so eine Aufgabe eignen. Für so eine betriebliche Nachsorge brauche es aber auch Zeit und die Möglichkeiten, das werde bislang von den Unternehmen noch nicht richtig berücksichtigt, meint Martin Wuttke.