Frauenhaus-NotaufnahmeHäusliche Gewalt: Es braucht dringend mehr Schutzorte
Häusliche Gewalt nimmt zu. Besonders davon betroffen sind Frauen. Ein Ort, der ihnen Schutz bietet, sind Frauenhäuser und ihre Notaufnahmen. Doch die arbeiten an ihrer Belastungsgrenze – und das konstant.
Wo Magdalena genau hinfährt, weiß sie nicht. Sie kennt nur ihr Ziel: die Notaufnahme der Hamburger Frauenhäuser. Als Reporterin für Deutschlandfunk Nova darf Magdalena Neubig die Frauenhaus-Notfaufnahme besuchen. Es ist eine Ausnahme. Der Ort soll so gut wie möglich geschützt werden.
Das bedeutet auch: Den Standort erfährt Magdalena vorher nicht. Auf ihrem Weg lotst sie eine der Mitarbeiterinnen der Notaufnahme Haltestelle für Haltestelle zu sich. So würde es die Mitarbeiterin auch mit Frauen machen, die von Gewalt betroffen sind und Schutz suchen.
"Es gibt eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, die Gewalt an Frauen und Kindern abzubauen. Dafür kämpfen wir jeden Tag – damit wir unseren Job quasi überflüssig machen können."
An ihrem Ziel angekommen trifft unsere Reporterin Elise Schultz. Sie ist die Mitarbeiterin, die Magdalena zur Notaufnahme navigiert hat. Nach ihrer Ankunft sucht Elise Schultz unsere Reporterin erst mal auf Tracker ab, über die Magdalena geortet werden könnte. Das ist eine Vorsichtsmaßnahme, die bei allen durchgeführt wird, die zur Notaufnahme kommen. Denn: Es sei schon vorgekommen, dass Partner oder Ex-Partner Schutz suchende Frauen über so einen Tracker verfolgt haben. Teilweise werden die Tracker in die Kleidung der Frauen eingenäht oder auch in Kuscheltieren versteckt, sagt Elise Schultz.
Frauenhaus-Notaufnahme: Ein geheimer Schutzort
Die Notaufnahme und die Frauenhäuser sind wichtige Anlaufstellen für von Gewalt betroffene Frauen. Alleine die Frauenhaus-Notaufnahme in Hamburg nimmt pro Jahr etwa 500 Frauen und noch mal so viele Kinder auf.
In der Notaufnahmen sollen die Frauen maximal drei Tage bleiben und dann – wenn sie möchten – in eines der Frauenhäuser der Stadt ziehen. Zumindest ist das in der Theorie so. Tatsächlich bleiben die Frauen meistens länger in der Notaufnahme, weil die Plätze in den Frauenhäusern nicht ausreichen.
In der Notaufnahme gibt es Platz für 15 Personen. Dort können Frauen aufgenommen werden, die von Gewalt bedroht oder betroffen sind, in Hamburg wohnen und mindestens 18 Jahre alt sind. Zu ihnen kommen Betroffene "aus allen Milieus, allen sozialen Schichten, jegliches Alter, kinderlose Frauen und Frauen mit Kindern", so Elise Schultz.
Manche der Frauen würden nach ihrem ersten Gewaltvorfall dorthin kommen, andere würden seit Jahren Gewalt erfahren und dort sein. Und wieder andere Frauen kommen mehrmals in die Notaufnahme, bis sie sich aus einer gewaltvollen Beziehung lösen.
Wieder mehr Betroffene von häuslicher Gewalt
Gewalt in der Beziehung betrifft jede vierte Frau im Alter von 16 bis 85 Jahren. Aktuelle Zahlen zeigen auch, dass häusliche Gewalt zunimmt. Laut dem neusten Bericht zur polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) waren im vergangenen Jahr 256.276 Menschen von häuslicher Gewalt betroffen – der Großteil davon sind Frauen. Das sind 6,5 Prozent mehr Menschen als 2022. Wobei davon ausgegangen wird, dass die Dunkelziffer wesentlich höher ist. Die Kriminalstatistik bildet also nur bedingt ab, wie viele Menschen tatsächlich von häuslicher Gewalt betroffen sind. Viele Fälle werden nicht zur Anzeige gebracht.
"Häufig sagen uns Betroffene, dass die körperliche Gewalt sozusagen das i-Tüpfelchen ist. Bevor körperliche Gewalt stattfindet, gibt es noch andere Gewaltarten, die wir erleben wie beispielsweise die psychische Gewalt."
Viele Menschen denken bei häuslicher Gewalt häufig auch ausschließlich an körperliche Gewalt, sagt Michaela Kohnert. Sie ist Beraterin in der Interventionsstelle Häusliche Gewalt und Stalking des Wohlfahrtsverbandes Awo. Häusliche Gewalt kann aber viele Formen haben. Beleidigungen, Bedrohungen, Stalking durch den Partner oder Ex-Partner sind auch häusliche Gewalt. Es gibt also körperliche und seelische Gewalt.
In der Beratung berichten Betroffene Michaela Kohnert davon, dass sie zuerst andere Formen der Gewalt erleben, bevor es dann zu körperlicher Gewalt kommt, sagt sie. Nicht selten findet bei Fällen von häuslicher Gewalt auch eine Täter-Opfer-Umkehr statt. Die Täter übernehmen für ihre Gewalt also keine Verantwortung und versuchen, der betroffenen Person eine Schuld einzureden.
Notaufnahme: Frauen zuhören und glauben
Die Notaufnahme ist klar auf der Seite der Frauen, betont Mitarbeiterin Elise Schultz. "Wir arbeiten immer parteilich und immer feministisch. Egal, wie die Frau sich entscheidet: Wir stehen dahinter und unterstützen die Frau bei ihren Entscheidungen." Die Notaufnahme ist für die Frauen ein Ort, wo ihnen zugehört und geglaubt wird. Und wo ihnen geholfen wird.
Dort sollen die Frauen Hilfe zur Selbsthilfe bekommen: Wenn die Frau Verletzungen dokumentieren lassen will, besorgen die Mitarbeiterinnen ihr einen Termin in der Rechtsmedizin. Wenn sie Anzeige erstatten will, unterstützen die Mitarbeiterinnen sie dabei. Sie prüfen auch, wie akut bedroht die Frau noch immer ist.
"Es ist superschockierend mitzuerleben, was für Gewalt herrscht – noch immer. Das ist Gewalt, die man sich wirklich nicht vorstellen kann."
Dabei gibt es ein großes Problem: Es gibt zu wenig Schutzräume. "In Hamburg haben wir mit unseren Notaufnahmeplätzen 251 Plätze. Laut Istanbul-Konvention hätte Hamburg einen Anspruch auf 477 Plätze und dementsprechend gibt es ein sehr hohes Defizit", erklärt Elise Schultz.
Der große Mangel an Plätzen würde auch für einen hohen Druck sorgen bei den Mitarbeiterinnen der Notaufnahme und Frauenhäuser. Denn: Sie möchten keine Frau in Not abweisen und sind dadurch konstant überbelegt, kritisiert die Mitarbeiterin. Die Notaufnahme und die Frauenhäuser fordern daher, dass die Plätze und Schutzräume aufgestockt werden sollen. Denn: Gewalt an Frauen und Kindern abzubauen, ist eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, sagt sie.
Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" erreicht ihr rund um die Uhr an jedem Tag unter der 116 016. Dort können sich Betroffene und Angehörige von Betroffenen anonym und kostenlos von Fachkräften beraten lassen.