Anschluss findenWenn wir dazugehören wollen
Jule erzählt davon, wie es war, aus einer Gruppe ausgeschlossen zu sein. Vanessa hat über ein ungewöhnliches Hobby Gemeinschaft und Zusammenhalt gefunden. Psychologe Norman Gutersohn erklärt, warum Zugehörigkeit ein Grundbedürfnis ist.
So wirklich wohl und zugehörig fühlte sich Jule zu keinem Zeitpunkt ihrer Schulzeit. So richtig schlimm, sagt sie, wurde es am Anfang der Mittelstufe. Da wurde sie aktiv ausgeschlossen, online und offline gemobbt oder kopfüber in einen Mülleimer gesteckt.
"Am Anfang habe ich noch empört reagiert, später dann habe ich resigniert und am Ende wollte ich so wenig Angriffsfläche bieten wie möglich."
Gemeinsam Werte sind entscheidend
Heute ist Jule 30, ist verheiratet, Mutter und selbstständig. In einer Therapie arbeitete sie das Erlebte auf und kann nun benennen, warum sie sich ausgeschlossen fühlte, erzählt sie. "Ich bin hochbegabt, autistisch und queer." Damals fühlte sie sich einfach nur anders.
An den Leuten, die ihr während der Schulzeit das Leben schwer gemacht haben, hat Jule kein Interesse mehr. Die meisten Freund*innen, die sie heute hat, sind so wie sie in der kreativen Szene unterwegs. Jule lebt mit ihrer Frau und ihrem Kind in einer WG. Diese vier Menschen, sagt sie, sind ihre engsten Bezugspersonen, ihre Familie.
"Inzwischen fühle ich mich zugehörig, weil ich Menschen gefunden habe, die mich als die Person mögen, die ich bin, und nicht irgendeine angepasst und ausgedachte Version meiner selbst."
Ein gemeinsames Ziel kann für Zusammenhalt sorgen
Sich mit Gleichgesinnten zu connecten, diese Erfahrung hat auch Vanessa gemacht, als sie anfing, sich für Hobby Horsing zu begeistern. Dabei reitet man – wie man es sonst vom Pferdereiten kennt – auf einem Steckenpferd, springt über Hindernisse oder bewegt sich mit dem Steckenpferd zur Musik. Laut Vanessa machen in Deutschland um die 5.000 Menschen, meist Kinder, diesen Sport.
"Das Gemeinschaftsgefühl kommt daher, dass wir zusammen eine neue Sportart aufbauen. Wir veranstalten Turniere, gründen neue Vereine und erstellen ein Regelwerk. Das verbindet."
Für Teenager ist Zugehörigkeit essenziell
Teil einer Gruppe zu sein, gibt Vanessa ein gutes Gefühl. Psychologisch gesehen ist Zugehörigkeit mehr als das, es ist ein Grundbedürfnis, erklärt Psychologe Norman Gutersohn. Grundbedürfnisse sind etwas, was Menschen entweder zum physischen Überleben oder für das mentale Wohlbefinden brauchen.
"In der Jugend bauen wir unsere Identität auf. Das passiert unter anderem durch Zugehörigkeit zu gleichaltrigen Personen, die unsere Werte teilen. Daher ist das Bedürfnis, in dieser kritischen Lebensphase dazuzugehören, so groß."
Laut Norman Gutersohn sollte jede*r ein, zwei Freunde oder Bezugspersonen im echten, analogen Leben haben. Wer sich in seinen Werten nicht im unmittelbaren Umfeld gespiegelt fühlt oder wer ein nicht so weit verbreitetes, nischiges Hobby hat, kann in Onlineforen und -communities Austausch und Rückhalt finden. Auf diesem Wege, sagt der Psychologe, entdeckt der eine oder die andere oft auch, dass das, wofür man sich begeistert, gar nicht so ungewöhnlich ist, sondern dass es hunderte oder sogar tausende andere Gleichgesinnte gibt und damit viele potenzielle Verbündete.