PsychologieGaffen: Wir können es oft nicht lassen
Die Flutkatastrophe in Deutschland hat verheerende Schäden hinterlassen. Das Ausmaß der Zerstörung ist groß und lockt deshalb auch viele Menschen an. Sie wollen aber nicht helfen - sondern gaffen und filmen. Dafür gibt es zwar auch evolutionäre Gründe, ein Risiko stellen gaffende Menschen aber trotzdem dar.
Es war die schlimmste Flut, die Deutschland seit 60 Jahren erleben musste - Menschen haben ihre Angehörigen, ihr Haus, ihr Auto und ihren ganzen Besitz in den Wassermassen verloren. Jetzt müssen sie das Chaos aufräumen und ihr Leben wieder aufbauen. Dabei werden sie von Hilfskräften unterstützt - und von einigen Menschen nur gefilmt und beobachtet. Eine solche Katastrophe lockt eben auch viele Gaffer an.
"Das Ungewöhnliche zieht unsere Aufmerksamkeit an. Also wir schauen uns immer Dinge an, die wir nicht kennen."
Clemens Hausmann ist Professor für Notfallpsychologie. Er weiß: Alles was wir selten sehen, weckt unsere menschliche Neugier. Ob ein umgestürzter Baum, eine zerstörte Straße, ein Auto, das sich überschlagen hat - oder eben alles auf einmal. Diese Neugier ist natürlich und oft Voraussetzung und Antrieb dafür, dass wir bestimmte Dinge lernen.
Ein wenig Gaffer steckt in jedem von uns
Bei Gefahren und Notfällen kommt außerdem eine Schutzfunktion hinzu. Wenn etwas umfällt, einstürzt oder kaputt geht, schauen wir hin, um die Gefahr für uns selbst abzuschätzen, erklärt der Psychologe.
"Durch das Beobachten einer Gefahrensituation schießen Stresshormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol bei uns in die Höhe. Die Konsequenz: Unser Körper schaltet in den Notfallmodus um. Und kann - wenn nötig – blitzschnell die Flucht ergreifen oder Hilfe leisten."
Also: Kurz hinschauen und die Situation abchecken ist völlig in Ordnung und oft auch notwendig. Denn nur so kann auch unser Körper gegebenenfalls in den Notfallmodus umschalten und sich auf Flucht oder Hilfe leisten einstellen, erklärt unser Deutschlandfunk-Nova-Reporter Mathias von Lieben.
Zum Gaffen wir es allerdings, wenn eine Situation eindeutig eine Handlung erfordert, die schauende Person stattdessen aber gar nichts unternimmt- und dann schlimmstenfalls Rettungskräften im Weg steht oder die Straße blockiert. Dann werden die Rechte derer, die betroffen sind, gestört und aus bloßem Schauen wird Gaffen.
Gaffen für den Dopamin-Kick
Der Hang zum Gaffen kann auch einen neurobiologischen Grund haben. "Menschen, die in ihrem Alltag unterstimuliert sind, neigen ganz gern als Verhaltenskorrelat zu einem sogenannten Thrill-seeking-Verhalten", erklärt Kriminalpsychologin Ursula Gasch.
Um drohende Langeweile abzuwehren, suchen sie also kritische und gefährliche Situationen gezielt auf. Denn kaum etwas schüttet so viel Dopamin aus wie eine Katastrophe. Unser Belohnungssystem springt also an - deswegen kann Gaffen auch süchtig machen.
"Es geht ja nicht mehr nur darum, selbst zu beobachten, sondern mit dem eigenen Handy aufzuzeichnen und das Video hochzuladen - und je heftiger und schlimmer das Gefilmte ist, um so mehr Likes kann man sich damit einfahren. Das wirkt sich wiederum direkt auf das Belohnungszentrum im Gehirn aus.“
Gaffende werden von ihrem Gehirn also doppelt belohnt - was es umso schwieriger macht, damit aufzuhören, so die Einschätzung der Psychologin.
Doch das kann zu erheblichen Problemen führen: Gaffer können neben anderen und auch sich selbst in Gefahr bringen, Rettungskräfte an ihrer Arbeit hindern, Traumata bei Betroffenen auslösen – und im schlimmsten Fall Tote verschulden.
Gaffende kosten der Polizei wichtige Ressourcen
Deshalb ist vor allem Aufklärungsarbeit und auch Konfrontation gefragt. Außerdem wurden die Strafen für Gaffen erhöht. All das erfordert aber auch Ressourcen von der Polizei: Auch aktuell sind in den betroffenen Flut-Gebieten mer Polizeikräfte im Einsatz - viele von ihnen aber nicht um zu helfen, sondern um sich die Hochwasser-Gaffer und Katastrophen-Touristen vorzuknöpfen.