Fußball und StatistikDas langsame Ende des Heimvorteils

Seit bei Fußballspielen keine, oder kaum noch Fans im Stadion sind, ist der Heimvorteil so gut wie weg. Das lässt sich sogar statistisch belegen. Sichtbar wird nun auch, dass Schiris mit Publikum eher zugunsten der Heimmannschaft pfeifen.

Laut einer Studie aus Italien ist der Heimvorteil im Fußball ohne Fans im Stadion kleiner geworden. Vincenzo Scoppa hat untersucht, ob sich das Verhalten von Fußballspielern und Schiedsrichtern ändert, wenn sie ohne Publikum spielen und pfeifen.

Der Wissenschaftler von der Abteilung für Ökonomie, Finanzen und Statistik an der süditalienischen Universität von Kalabrien hat sich Fußballstatistiken vor und während der Pandemie anguckt.

Heimmannschaften im Vorteil

Er hat bei der Analyse festgestellt, dass der Heimvorteil sichtbar geringer geworden ist. Eigentlich gewinnen Gastgebermannschaften mit einer größeren Wahrscheinlichkeit und auch die Schiedsrichter entscheiden im Schnitt etwas öfter für die Heimmannschaft und gegen die Gäste. Gastmannschaften bekommen statistisch betrachtet etwas häufiger gelbe Karten.

"Die Schiedsrichter lassen sich von den Geräuschen, vom Lärm der Fans ein stückweit beeinflussen – insofern hat die Heimmannschaft einen Vorteil."
Johannes Döbbelt, Deutschlandfunk-Nova-Reporter über den Heimvorteil

Vincenzo Scoppa hat sich die Statistiken der ersten und zweiten Ligen in Deutschland, Spanien, England, Italien und Portugal angesehen. Die Statistiken von etlichen Spiele aus 2020, die ohne Publikum stattgefunden haben, hat er dann mit den Zahlen aus den vergangenen zehn Jahren in diesen Ligen verglichen. Klar: Bei diesen älteren Vergleichsdaten waren Fans in den Stadien dabei.

Der Heimvorteil hat ihm zufolge wirklich deutlich abgenommen. Statistisch nachweisen ließ sich das bei folgenden Werten:

  • bei den Punkten, die die Heimschaften geholt haben
  • bei den Toren
  • bei den Schüssen aufs Tor
  • bei den Eckbällen

Bei all diesen Werten habe sich der Effekt des Heimvorteils 2020 ohne Fans im Stadion fast halbiert, schreibt Vincenco Scoppa in seiner Studie. Ähnliches gilt für das Verhalten des Schiedsrichters. Ohne Fans im Stadion pfiffen die Schiedsrichter deutlich neutraler.

Die Abwesenheit der Fans führe direkt dazu, dass die Schiedsrichter neutralere Entscheidungen fällten, weil der soziale Druck, der sonst von den heimischen Fans ausgeht, einfach nicht da ist.

Schwindender Heimvorteil – bereits vor der Pandemie

Auch Daniel Memmert hat sich mit dem Phänomen Heimvorteil beschäftigt. Er lehrt an der Deutschen Sporthochschule Köln. Er weist darauf hin, dass Heimvorteilseffekte in den vergangenen Jahren auch ohne Pandemie abgenommen haben.

"Die Ergebnisse der Studie sind ein wenig fordernd und ein stückweit überinterpretierend, denn der Heimvorteil hat sowieso schon in den letzten Jahren und Jahrzehnten abgenommen."
Daniel Memmert, Deutschen Sporthochschule Köln

Vincenzo Scoppa hat die Corona-Spiele mit Spielen vor etwa zehn Jahren verglichen. Es könne eben auch sein, dass der geringere Heimvorteileffekt einfach daher kommt, dass der Effekt über die Jahre insgesamt weniger wirksam geworden ist und dass das nichts mit den fehlenden Fans zu tun hat.

Als Grund für diesen langfristigen, strukturellen Rückgang des Effekts vermutet Daniel Memmert, dass das Reisen bequemer und schneller geworden ist. Gastteams kämen oft schon am Vortag am Spielort an.

Gastmannschaften hätten also deutlich geringere Reisestrapazen als früher. Es könnte auch daran liegen, dass die Stadien sich immer ähnlicher werden – beispielsweise in der ersten Bundesliga.