Fünf Jahre "Wir schaffen das"Wie sich die politische Rhetorik seitdem verändert hat
Ein kleiner Satz mit großer Wirkung: "Wir schaffen das". Doch wäre diese Art der Rhetorik auch heute noch zeitgemäß? Politikwissenschaftler Moritz Kirchner sagt "ja", obwohl sich die Rhetorik seitdem stark verändert hat.
Der Satz "Wir schaffen das" hat in den letzten fünf Jahren stark polarisiert und feuerte sowohl die Diskussionen unter den Befürwortern als auch unter den Gegnern der Politik von Angela Merkel an. Außerdem hob er vor allem den Gegensatz auf, der bisher immer von Rechtspopulisten propagiert wurde: die Eliten gegen das Volk. Mit "Wir schaffen das" meinte Angela Merkel aber genau das Gegenteilige, nämlich die Eliten und das Volk werden es gemeinsam schaffen.
Diese ruhige und sachliche Rhetorik von Angela Merkel ist noch zeitgemäß, sagt der Politikwissenschaftler und Diplom-Psychologe Moritz Kirchner.
"Grundsätzlich ist dieser ruhige und sachliche Ton, etwas, was nach wie vor in die Debatte passt. Gerade auch als Kontrast zu denen, die schreien."
Dass sie den Satz heute so nicht mehr verwendet, findet er dennoch sinnvoll, denn häufig wiederholte Sätze können schnell starrsinnig wirken.
Bedürfnis nach Rationalität
Zwar hat sich die Rhetorik in den letzten Jahren zunehmend hin zu einer "Empörungsrhetorik" gewandelt, doch diese nervt auch viele Menschen, sagt Moritz Kirchner. Das Bedürfnis nach einer sachlichen und rationalen Rhetorik ist deshalb auch heute noch groß.
"Wir haben es zunehmend mit einer Empörungsrhetorik zu tun. Allerdings ist das auch etwas, das viele Leute tatsächlich nervt. Es gibt ein Bedürfnis nach Rationalität, nach sachlicher Orientierung."
Die sachliche Merkel-Rhetorik ist also immer noch ein guter Weg. Was Angela Merkel allerdings in ihrer Rhetorik häufig fehlte, war laut Moritz Kirchner das Pathos und auch die Erklärung, warum sie welche politischen Maßnahmen durchführt.
Kurze und griffige Zitate braucht es heute
Dennoch hat sich in den letzten fünf Jahren etwas verändert. Die Gesellschaft hat sich beschleunigt und die Aufmerksamkeitsspanne ist kürzer geworden. Eine absolute Grundregel in der heutigen politischen Rhetorik ist deshalb: Ein Statement muss innerhalb von 90 Sekunden sitzen, sagt Moritz Kirchner. Außerdem müssen in diesem Statement griffige und prägnante Zitate enthalten sein, die sich gut in den sozialen Netzwerken verarbeiten lassen.
"Es gilt als absolute Grundregel: Ein Statement muss innerhalb von 90 Sekunden sitzen."
Früher gab es für die Kommunikation mehr Zeit. Allerdings gilt auch heute immer noch das, was seit Aristoteles seine Gültigkeit hat: Es kommt auf den Inhalt an und vor allem, wie emotional und überzeugend man diesen rüberbringt.
Ein Diskurs ohne Beleidigungen
Um derzeit auch die Menschen zu erreichen, die beispielsweise gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gehen, müssen zuallererst die gegenseitigen Beschimpfungen und Beleidigungen ein Ende finden, sagt Moritz Kirchner. Wenn auf der einen Seite die Rede von "Covidioten" und auf der anderen Seite von "Schlafschafen" ist, kann kaum eine Beziehung zwischen diesen beiden Gruppen hergestellt werden.
Allerdings gibt es laut Moritz Kirchner auch viele Menschen, die in einem "Echo-Bunker" sitzen und es als persönliche Schwäche betrachten, nicht recht zu haben. Wer deshalb kein Einsehen zeigt, kann nicht mehr allein mit Rhetorik, sondern nur noch mit darauffolgenden Taten erreicht werden.