FreundschaftWie wir Streit im Urlaub überstehen
Selin hat sich mit Freunden im Urlaub verkracht, daraufhin haben sie die Reise früher abgebrochen. Warum der Urlaub manchmal im Streit enden kann und wie wir die gemeinsamen Tage vielleicht doch friedlich hinbekommen, erklärt die Psychologin Dörthe Dehe.
Spaß haben, eine schöne Zeit und eine Freundschaft, die am Ende noch ein bisschen näher zusammengewachsen ist – so beschreibt Selin ihre Erwartungen an den einwöchigen Trip nach Palermo mit drei Freundinnen. Sie kennen sich schon seit Langem, erzählt sie, so richtig Stress hätte es bisher nie gegeben.
Eine Summe von vielen kleinen Streitigkeiten
Den ersten kleinen Zoff habe es schon am Abend nach der Ankunft gegeben, weil irgendwer für irgendwas zu lange gebraucht habe. Aufstehzeiten oder Tagesplanung – es sei zwar nie um wirklich ernste Sachen gegangen, doch häuften sich viele kleine Streitigkeiten. In der Summe ging das so weit, dass sie alle irgendwann keine Lust und Kraft mehr hatten, den Urlaub fortzuführen, sagt Selin.
"Immer diese kleinen Streitigkeiten. Die haben sich dann irgendwann so gestaut, dass wir einfach keine Lust und keine Kraft mehr hatten, den Urlaub noch fortzuführen."
Der Trip hätte verschiedene Gewohnheiten und Seiten bei ihr und den Freundinnen hervorgebracht, die sie vorher so noch nicht gekannt hätten. Zwar hätten sie alle immer wieder versucht, Dinge zu klären, doch irgendwann sei jeder so genervt von den anderen Personen gewesen, dass Abstand die einzige Option gewesen sei.
"Dann hatten wir ein ernstes Gespräch, bei dem jede geäußert hat, dass man gar keine Lust mehr auf den Urlaub und auch nicht mehr auf diese Umgebung hat."
Die Lust auf Urlaub und die Umgebung war verflogen, bevor es noch schlimmer kommen würde, haben sie sich für den Abbruch des Urlaubs entschieden, so Selin.
Zurück in Deutschland sei man erst mal auf Abstand gegangen. Irgendwann hätten sich die Freundinnen dann aber zusammengesetzt und offen und ehrlich ausgesprochen, was jede gestört und genervt habe.
Missverständnisse und mangelnde Kommunikation
Beim gemeinsamen Gespräch sei herausgekommen, dass manche sich total missverstanden gefühlt und sie untereinander auch nicht gut kommuniziert hätten. Es sei auf jeden Fall eine lehrreiche Erfahrung gewesen. Selin würde heute mit solchen Situationen anders umgehen, sagt sie, zum Beispiel getrennte Zimmern und Rückzugsorte schaffen.
Riesige Erwartungen an den Urlaub
Die Erwartungen an einen Urlaub sind oft riesig, gefühlt muss das die Zeit des Lebens werden, sagt die Psychologin Dörthe Dehe. Blickt man aber auf die typischen Konfliktursachen wie beispielsweise unzureichende Kommunikation, gegenseitige Abhängigkeit, das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, wenig Gebrauch von Feedback oder Cliquenbildung und Wettbewerb, dann finde man all das im Urlaub mit Freunden sehr gut wieder.
"Und dann haben wir auf einmal eine ganz große Nähe mit Menschen, die wir sonst nicht in all den Facetten kennen."
Der gemeinsame Urlaub und die intensive Nähe könne Facetten bei unseren Freundinnen und Freunden aufzeigen, die wir so vielleicht noch gar nicht gekannt haben oder sehen wollten. Gerade in größeren Gruppen kann es zudem zum Gefühl der Ablehnung und Kränkung kommen, weil wir uns einzelnen Menschen nicht so intensiv zuwenden können, wie wir uns das vielleicht gewünscht hätten, so die Psychologin.
Urlaub mit Freunden eine Extremsituation
Ordentlichkeit, Pünktlichkeit oder Sparsamkeit – Menschen seien viel unterschiedlicher als sie Gemeinsamkeiten hätten. Das gelte auch für Freundschaften. "Urlaub mit Freunden ist eine Extremsituation, auf die wir meist nicht ausreichend vorbereitet sind", sagt Dörthe Dehe. Darum sei es bei der Planung hilfreich, vorab über die wichtigsten Dinge, Erwartungen, Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zu sprechen.
"Urlaub mit Freunden ist eine Extremsituation, auf die wir meist nicht ausreichend vorbereitet sind."
Nähe, Distanz, mehr Autonomie – was braucht der oder die andere gerade? – Kriselt es im Urlaub, dann sollten wir uns um Einfühlungsvermögen bemühen. Wenn wir Dinge ansprechen, dann besser auf eine Art, die es den anderen ermöglicht, einzusteigen – etwa die Frage, was die anderen von der heutigen Tagesplanung halten.
Bemerkungen wie, "du hast hier heute irgendwie eine angespannte Stimmung", seien zu konfrontativ. Auch sollten wir nicht "das ganz große Rad drehen", sagt Dörthe Dehe. Heißt: Nur die Dinge klären, die jetzt im Urlaub wichtig sind und nicht Themen, die schon Wochen oder Monate zurückliegen.
""Auf die Dinge konzentrieren, die jetzt im Urlaub geklärt werden müssen und nicht das ganz große Rad drehen. Man hat ja immer noch so ein paar andere Dinge im Gepäck von vor zwei Wochen oder vier Monaten.
So anstrengend Konflikte auch sein können, wir sollten uns bemühen, diese nicht als etwas Furchtbares zu sehen. Gerade in Freundschaften gehören Auseinandersetzungen dazu. Es sei wichtig, sich hier von der persönlichen und authentischen Seite zeigen zu können, so die Psychologin.