Forschung zum JudenhassAntisemitismus nimmt im Netz drastisch zu
Das antisemitisch motivierte Attentat in Halle hat auch Online-Plattformen – mal wieder – in Verruf gebracht. Monika Schwarz-Friesel forscht zum Judenhass im Netz. In ihrem Vortrag erinnert die Kognitionswissenschaftlerin an die lange Tradition des Antisemitismus in der Kulturgeschichte der westlichen Welt – online verbreite er sich beispiellos.
Mehrere Jahre hat die Kognitionswissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel Texte im Netz analysiert: Posts, Kommentare, Chats – auch Dokumente, wie etwa Hausarbeiten auf Ratgeberplattformen oder Emails. Sie wollte herauszufinden, wie Antisemitismus im digitalen Zeitalter in Erscheinung tritt, wer ihn artikuliert und verbreitet, was dabei behauptet und wie argumentiert wird.
"Das Internet hat eine präzedenzlose Ausbreitung von Antisemitismus mit sich gebracht."
In ihrer Langzeitstudie hat sie beobachtet, dass das Netz zu einer rasanten Verbreitung von Antisemitismus beiträgt. Monika Schwarz-Friesel erklärt, dass Menschen tatsächlich in den ganz normalen sozialen Medien am meisten und am schnellsten auf Antisemitismus stoßen. Geheime Chats oder geschlossene Gruppen seien nebensächlich, Alltags-Userinnen und -User hingegen die Hauptmultiplikatoren und Katalysatoren.
"Der Hass entsteht nicht im Internet, der Hass kommt aus den Köpfen und wird ins Internet getragen."
Dieser Judenhass sei nichts Neues. Was in den Foren und Chats formuliert, geteilt und geliked wird, hat 2000 Jahre Tradition, sagt die Kognitionswissenschaftlerin. Der Topos des abgrundtief bösen, gierigen und hässlichen Juden sei im Abendland eine kulturelle Konstante .
Antisemitismus in der Literatur
Diese Stereotype und Denkmuster seien gewissermaßen Teil unserer Kultur. Zur Verdeutlichung zieht die Kognitionswissenschaftlerin in ihrem Vortrag auch Beispiele aus der Literatur heran.
"Die dunkle Seite des Abendlandes zeigt ein Echo der Vergangenheit, das keineswegs beschränkt ist auf die Jahre der NS-Zeit von 33 bis 45, sondern zweitausend Jahre alt ist."
Monika Schwarz-Friesel stellt in ihrem Vortrag zentrale Ergebnisse ihrer Studie vor. In einem ergänzenden Interview geht sie im Anschluss noch detailliert auf die Frage ein, wie Antisemiten fühlen und denken. Sie sagt, Hass sei bei Judenfeindschaft immer das dominante Gefühl – nicht Ärger, Wut oder Furcht und schon gar nicht Neid, wie es teilweise behauptet wird. Sie versucht zu erklären, warum diese Gefühls- und Gedankenwelt so resistent gegen reale Gegenbeweise ist, wie Menschen überhaupt in antisemitische Gedanken- und Gefühlskonstrukte hineingeraten können und was dagegen möglicherweise getan werden kann.
Hass als Ursprung
Eine Kurzzusammenfassung der Studie findet ihr hier. Monika Schwarz-Friesel hat auch ein Buch zum Thema herausgebracht: "Judenhass im Internet: Antisemitismus als kulturelle Konstante und kollektives Gefühl" ist im Mai 2019 im Hentrich und Hentrich Verlag in Berlin als Taschenbuch erschienen. Darin beschreibt sie anschaulich, wie deutlich Antisemiten in der Regel emotional involviert sind.
"Sie glauben, ohne zu wissen. Sie 'wissen', weil sie glauben. Sie glauben, weil sie fühlen. So ist der Hass der Ursprung ihrer abstrakten Denkprozesse."
Die Vortragende:
Die Kognitionswissenschaftlerin und Antisemitismusforscherin Monika Schwarz-Friesel ist Leiterin des Fachgebiets Allgemeine Linguistik am Institut für Sprache und Kommunikation der TU Berlin. Sie leitete das mehrjährige, DFG-geförderte Forschungsprojekt "Antisemitismus im World Wide Web". Dessen Ergebnisse stellte sie am 08.04.2019 im Rahmen der Konferenz "Antisemitismus und das Internet" vor, die vom deutsch-französischen Kulturinstitut Maison Heinrich Heine
in Paris veranstaltet wurde und ebendort stattfand.