Forschen und PandemieWissenschaftsjournalist: "Hundertprozentige Sicherheit gibt es bei wissenschaftlicher Erkenntnis nicht"
In der Corona-Pandemie sehnen sich viele nach Klarheit. Nach wissenschaftlich belegten Fakten, die Grundlage für Entscheidungen und das eigene Handeln sind. Aber das könne die Wissenschaft so gar nicht leisten, vielmehr sei sie für Leitplanken zuständig, erklärt Wissenschaftsjournalist Ralf Krauter.
Wissenschaftliche Ergebnisse aus Virologie, Epidemiologie und Medizin sind wohl während der Covid-19-Pandemie für die Allgemeinheit so interessant, wie seit sehr langer Zeit nicht mehr. Das Problem: Wir wollen schnell an Informationen kommen – am liebsten sofort. Aber das könne die Wissenschaft gar nicht leisten, erklärt Wissenschaftsjournalist Ralf Krauter.
Normalerweise gibt es in der Wissenschaft – bevor Forschende mit Infos an die Öffentlichkeit gehen – erst einmal internen fachlichen Austausch. Das läuft meist im Verborgenen, sagt Ralf Krauter. Ein Wissenschaftler hat beispielsweise eine These, auf die dann Kolleginnen und Kolleginnen erst einmal draufschauen, etwa: ob die Methode stimmt, die Ergebnisse richtig sind und ob die These nachvollziehbar ist, oder ob die Daten klar belegt sind. Jetzt in der Pandemie gebe es zu wenig zeit für diesen Austausch, so Ralf Krauter.
Wiederholbarkeit als Prinzip
Auch rund ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie bleiben eine Reihe alltäglicher Fragen ungeklärt. Beispielsweise: Schulen auf oder zu? Grenzschließungen effektiv oder nicht? Öffentlicher Nahverkehr riskant oder ungefährlich?
Grundsätzlich geht es bei guter Wissenschaft immer darum, ein Experiment unter genau kontrollierten Bedingungen möglichst oft zu wiederholen, sagt Ralf Krauter. Die Bedingungen an Grenzen, Schulen und im ÖPNV lassen sich nicht so leicht generalisieren.
Als ein weiteres Prinzip nennt der Wissenschaftsjournalist die Unsicherheit wissenschaftlicher Ergebnisse: "Hundertprozentige Sicherheit gibt es bei überhaupt keiner wissenschaftlichen Erkenntnis."
"In der Corona-Krise werden Ergebnisse, die noch gar nicht von anderen begutachtet wurden, plötzlich in aller Öffentlichkeit debattiert."
Ralf Krauter beobachtet, dass jetzt in der Corona-Pandemie – vermutlich durch den Druck einer wissbegierigen Öffentlichkeit – das Prozedere des wissenschaftsinternen Austauschs auf offener Bühne ausgetragen wird. "Da wurden Ergebnisse, die noch gar nicht von anderen begutachtet wurden, plötzlich in aller Öffentlichkeit debattiert."
Das wiederum habe in der Öffentlichkeit dazu geführt hat, dass der Eindruck entstand, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wüssten manche Dinge gar nicht so genau, so Ralf Krauter.
"Dadurch, dass Wissenschaftler in der Corona-Pandemie jetzt bemüht waren, Informationen schnell nach außen zu tragen, wurden über Jahre eingespielten Prozesse ausgehebelt und in der Gesellschaft entstand Verwirrung."
Ein weiterer Aspekt, der zu Verwirrung oder falschen Schlüssen führt, ist, wenn wissenschaftliche Ergebnisse und allgemeine Regeln von einzelnen Berichten und Beobachtungen abgeleitet werden.
Rauchen und der Tod
Als Beispiel nennt der Wissenschaftsjournalist Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt, der jahrzehntelang Kettenraucher war und von der Tabaklobby sogar als Beleg dafür herangezogen wurde, dass Rauchen unbedenklich sei. Ralf Krauter sagt: "Helmut Schmidt hatte einfach nur Glück. Den meisten anderen würde es schlecht bekommen. Die sterben einfach früh, wenn sie regelmäßig rauchen."
"Man darf nicht den Fehler machen, von Einzelfällen, also von anekdotischer Evidenz, auf allgemeine Regeln zu schließen."
Solche Einzelbeispiele könnten allerdings publizistisch augenutzt werden, zu Marketingzwecken beispielsweise. Ralf Krauter erinnert daran, dass die Tabaklobby Helmut Schmidts Langlebigkeit genutzt habe, um Zweifel an dem kausalen Zusammenhang zwischen dem Rauchen und dem Risiko für Lungenkrebs zu sähen.
Als Beispiel für eine sichere wissenschaftliche Erkenntnis, die während der Pandemie hinzugekommen ist, nennt Ralf Krauter die Unwirksamkeit von Hydroxychloroquin gegen Sars-CoV-2. Anders als die Mythen und Gerüchte, zu deren Verbreitung auch Ex-US-Präsident Donald Trump beigetragen hat, sei inzwischen klar: Das Malaria-Medikament Hydroxychloroquin ist bei einer Infektion mit Sars-CoV-2 wirkungslos.
Wir haben mit Ralf Krauter auch über Preprints, Forschende in Talkshows und den öffentlichen Diskurs gesprochen. Das ganzen Gespräch könnt ihr oben mit einem Klick auf Play anhören.