Libysche MilizenTürsteher zwischen Afrika und Europa
Der Journalist Michael Obert hat im libyschen Zawiya einen Warlord begleitet, der die dortige Küstenwache an sich gerissen hat. Im Auftrag der EU bringt der Milizenführer Flüchtlinge aus den Schlepperbooten zurück nach Libyen.
Für das SZ-Magazin war Michel Obert mit dem Fotografen Moises Saman und einem Übersetzer in Libyen unterwegs. Der Staat im Norden Afrikas ist das wichtigste Transitland für afrikanische Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa. Gleichzeitig bekämpfen sich in dem völlig zersplitterten Land mehr als 1000 bewaffnete Gruppierungen.
Einer dieser Gruppierungen hat sich Michael Obert im Zuge seiner Recherche angeschlossen. Sie wird angeführt von Al Bija, einem Warlord, der im Hafen von Zawiya, rund 80 Kilometer von Tripolis entfernt, die Küstenwache bildet. Seit Al Bija vor zwei Jahren den Hafen eroberte, kontrolliert er mit dem gekaperten Patrouillenschiff ein Gebiet, das zig Mal so groß ist wie der Bodensee, berichtet Michael Obert.
Völlig undurchsichtige Strukturen
Michael Obert ist mit Al Bija aufs Meer herausgefahren, ihr Schiff wurde von bewaffneten Schleppern angegriffen, als sie Menschen auf einem kenternden Boot aufsammeln wollten. Bei der Aktion wäre der Journalist fast gestorben.
Al Bija selbst sagt, er bekämpfe Schlepper der benachbarten Clans und rette Menschen, die auf dem Mittelmeer in Seenot geraten. Andere sagen, der Warlord bekämpfe nur die Schleppergruppen, die ihn nicht bezahlen - die anderen werden durchgelassen. Bei seinen Recherchen vor Ort hat Michael Obert vor allem eins bemerkt: Die Akteure innerhalb des Landes sind extrem undurchschaubar.
"Niemand spielt da mit offenen Karten, alles ist total dubios und mit dubiosen Akteuren durchsetzt - von den Ministerien, über das Militär, die Polizei bis zur Küstenwache wird alles von Milizen regiert."
Einen funktionierenden Staatsapparat gebe es nicht, sagt Michael Obert. Um den Zustrom afrikanischer Flüchtlinge und Migranten nach Europa einzudämmen, kooperiert die Europäische Union seit Februar 2017 mit der libyschen Küstenwache. Die soll die Bootsinsassen in den libyschen Küstengewässern abfangen und zurück in libysche Auffanglager bringen. Dabei arbeitet die EU also zwangsläufig auch mit mindestens dubiosen Akteuren zusammen.
"Wenn nicht einmal wir in mehreren Wochen vor Ort herausfinden konnten, welche Motive diese Leute haben - Warlords, Milizen, die dort Küstenwache spielen - dann ist es eine sehr schwierige Ausgangssituation für die Europäische Union, weil niemand weiß, wo die Gelder landen."
Zusammenarbeit mit NGOs?
Der Journalist ist auch den Behauptungen nachgegangen, dass private NGOs im Mittelmeer vor der libyschen Küste bei ihren Rettungsaktionen mit Schleppern zusammenarbeiten. Michael Obert hat einige der Vorwürfe recherchiert – unter anderem den, die NGOs würden Lichtsignale an die Schlepper an der Küste senden, um ihnen zu zeigen, wo sie sich befinden. Michael Obert konnte allerdings keine Hinweise auf eine Verbindung zwischen den privaten Schiffen und Schlepperbanden finden - stattdessen viele Ungereimtheiten bei den Behauptungen.
"Die Vorwürfe liegen aus meiner Warte irgendwo zwischen Unsinn oder haben einfach keinen Bestand und sind jetzt im Moment eher politisch motiviert, um den Schwarzen Peter ausgerechnet denen zuzuschieben, die versuchen, Tag und Nacht im Mittelmeer Leben zu retten."