Wiederholt sich 2015?Migrationsforscher: "Es gibt nicht zu viel Flucht aus Afghanistan, es gibt zu wenig"
Kommen viele Flüchtlinge aus Afghanistan nach Deutschland? Armin Laschet hat diesen Gedanken formuliert. Ein Migrationsforscher hält das für komplett abwegig.
CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet hat gesagt: "2015 darf sich nicht wiederholen." Er bezieht sich damit auf die Flüchtlinge, die damals vor allem aus Syrien, aber auch aus dem Irak und Afghanistan nach Deutschland gekommen sind.
Da aus Afghanistan zurzeit viele Menschen ausreisen wollen, lässt sich die Frage stellen: Werden sich wieder viele Menschen auf den Weg nach Europa und nach Deutschland machen? Die Antwort von Gerald Knaus, Mitgründer und Vorsitzender der Denkfabrik European Stability Initiative in Berlin, ist eindeutig: Es ist gar nicht möglich, dass sich 2015 wiederholt.
"Die Vorstellung, dass eine größere Zahl selbst von denen, die wir sicher aufnehmen wollen würden, rauskommen, ist derzeit vollkommen abwegig."
Gerald Knaus sagt, die Zustände heute sind "radikal anders". 2015 konnten Syrer praktisch ohne Einschränkungen in die Türkei fliehen. Die Grenzen Afghanistans sind aber dicht. Zum einen werden sie durch die Taliban kontrolliert, zum anderen riegeln auch die Nachbarländer Afghanistans ab.
Und so sieht Gerald Knaus den umgekehrten Fall: "Es gibt nicht zu viel Flucht, es gibt zu wenig." Selbst Menschen mit gültigen Dokumenten, die sofort von Deutschland aufgenommen würden, könnten kaum aus Afghanistan ausreisen, weil zum Beispiel der Weg aus der Stadt zum Flughafen zu gefährlich ist. Gerald Knaus: "Es wird kein 2015 geben."
Statt sich über eine eventuell große Anzahl von Flüchtlingen zu sorgen, sieht Gerald Knaus die Priorität woanders: Aufgrund der Versäumnisse der letzten Monate und Wochen ist es jetzt ein Problem, diejenigen aus Afghanistan herauszuholen, "die wir sofort aufnehmen würden".
Geordnetes Ausreiseprogramm anstreben
Neben dem Versuch, gefährdete Menschen jetzt noch aus Afghanistan herauszuholen, bleiben laut Gerald Knaus zwei Möglichkeiten:
- Erstens der Versuch, direkt mit den Taliban zu sprechen und auf diplomatischem Weg Ausreisen zu ermöglichen.
- Zweitens ein geordnetes Ausreiseprogramm zu verhandeln, wie es zum Beispiel mit dem kommunistischen Vietnam gemacht wurde. Letzteres hat zur Ausreise von über 600.000 Menschen geführt, darunter auch politische Gefangene. "Wir können das jetzt leider nur noch mit den Taliban verhandeln."
Gerald Knaus hofft, dass die Unterstützung und Rettung von gefährdeten Menschen in Afghanistan "nicht in zwei Wochen wieder vergessen ist". Er sieht aber eine einheitliche Linie bei den meisten Parteien.
"Man hat hier ohne jeden Realismus geplant, ohne die begründeten Ängste vor Verfolgung zu berücksichtigen."