FleischindustrieDie Sache mit dem Tierwohl ist gar nicht so einfach
Wenn wir Fleisch mit überdurchschnittlicher Qualität kaufen wollen, müssen wir mehr zahlen. Das gilt auch, wenn wir wollen, dass die Nutztiere besonders gut gehalten wurden. Erzeuger stellt das vor neue Herausforderungen – unsere Autorin Anja Nehls hat mit zwei von ihnen auf der Grünen Woche gesprochen.
Lebende Schweine gibt es in diesem Jahr keine auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin – aus Angst vor der afrikanischen Schweinepest. Die lebensgroßen rosa Plastikschweinchen, die sie vertreten, haben zumindest eine Heuraufe und einen Wasserspender – im echten Leben gibt es für die Schweine im Stall zusätzlich auch baumelnde Spielbauklötzchen. Das versichert Landwirt Ralf Paulsen aus der Nähe von Krefeld, den Anja auf der Messe in Berlin getroffen hat.
0,75 Quadratmeter pro Schwein
Tatsächlich seien auf den Höfen in Deutschland Spielzeug und Beschäftigungsmaterial für die Tiere heutzutage Standard, sagt Ralf Paulsen. Die meisten Tiere werden allerdings auf den sogenannten Vollspaltenböden gehalten. Sie stehen also im Stall nicht auf Stroh, sondern auf Kunststoff oder Beton. So können Kot und Urin durch die Spalten abfließen.
Der Platz pro Tier liegt bei so einem Stall laut EU-Vorgabe bei 0,75 Quadratmetern. Das höre sich nach wenig Platz an, so der Landwirt, aber die Schweine lägen meist zusammen in einer Ecke.
"Hört sich erst mal wenig an. Aber Schweine legen sich immer zusammen in eine Ecke, das sieht man hier, bei den zwei, vier, sechs, acht Tieren in diesem Stall und genauso sieht das auch bei uns aus."
Klimaschutz versus Tierwohl
Ralf Paulsen könnte den Stall für seine Schweine vergrößern – dann hätten die Tiere mehr Platz. Allerdings wäre auch die Klimabilanz durch das entstehende CO2 eine schlechtere, sagt er. Denn er müsse den Stall dann zum Beispiel heizen.
"Wenn ich den Platz größer mache, haben die Tiere zwar mehr Bewegungsfreiraum, ich bin aber ökologisch schlechter, weil ich den Stall eventuell heizen muss."
Und die Klimabilanz sei heute mitunter wichtiger als das Wohl der Tiere. Denn bei der Schweine- oder Rinderhaltung entstehen Methan und Ammoniak – beides klimaschädliche Gase. Die Landwirte müssen daher die Luft aus dem Stall mit einem Gerät reinigen. Das lohne sich aber erst bei Massentierhaltung – und die wolle eigentlich niemand, sagt Ralf Paulsen.
Auch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner sagte vor Kurzem, dass es schwierig sei, bei bestehenden Emissionsregeln und Baugesetzen, mehr für das Tierwohl in den Betrieben zu tun.
"Aber das Baugesetzbuch und die Emissionsregeln stehen einem Mehr an Tierwohl zuwider. Das heißt, wenn ich mehr fürs Tierwohl tun will, brauche ich offene Ställe, brauche Luftzufuhr, brauche vielleicht auch für den Bestand mehr Platz. Und dann haben wir ein Problem mit dem Baugesetzbuch."
Produkte sollen Kennzeichen und Label erhalten
Die Lage für Erzeuger ist also kompliziert - das gilt aber auch für die Verbraucher, die im Supermarkt nach Orientierung suchen. Damit Kundinnen und Kunden zumindest ansatzweise erkennen können, was sie kaufen, arbeiten einige Discounter mit Tierhaltungskennzahlen von eins bis vier. Da bedeutet eins: Die Tierhaltung entspricht dem gesetzlichen Standard. Und vier: Die Tierhaltung entspricht Bioqualität.
Die Bundesregierung plant derweil ein eigenes staatliches Label, um transparent zu machen, wie ein Tier vor dem Schlachten gelebt hat. Über die Kriterien wird allerdings noch diskutiert.
Bauern fordern mehr Vorgaben und Planungssicherheit von Politik
Die Landwirte, mit denen Anja gesprochen hat, sagen, dass sie das Beste für ihre Tiere wollen. Landwirt Herbert Wegner, den sie ebenfalls auf der Grünen Woche getroffen hat, betont zum Beispiel: Kühe gehören auf die Weide – im Sommer wie im Winter.
Auch für Ralf Paulsen ist artgerechte Tierhaltung immer nur ein Kompromiss – denn artgerecht sei vor allem ein Leben in Freiheit.
"Die Kälber spielen draußen im Schnee wie kleine Kinder. Das einzige, was sie nicht mögen ist nasskaltes Regenwetter oder Hagel oder so was."
Ich selber bin Bauer und der Meinung, artgerecht, geht ja gar nicht. Artgerecht ist die Freiheit. Und wenn ich so ein Wildschwein sehe, dann ist artgerecht, wenn da schon mal viele Junge im Wald sterben.
Die Bauern fordern daher von der Politik vor allem klare Vorgaben und Planungssicherheit – denn ein Umbau der Betriebe kostet Geld. In letzter Konsequenz müssen wir als Verbraucherinnen und Verbraucher dann mehr zahlen, wenn uns das Tierwohl am Herzen liegt.
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