Feiertage im KriegViele Menschen in der Ukraine verlegen Weihnachten nach vorne
Als Zeichen der Zuwendung zum Westen feiern immer mehr Ukrainer jetzt schon Weihnachten – und nicht wie traditionell erst am 6. und 7. Januar. Von Besinnlichkeit kann ohne Strom und mit Fliegeralarm allerdings oft keine Rede sein, eine Waffenpause ist nicht in Sicht.
Katholische und evangelische Christen feiern Weihnachten am 25. und 26. Dezember. In der russisch-, griechisch- und auch ukrainisch-orthodoxen Kirche wird das nach Ostern wichtigste christliche Fest dagegen traditionell erst am 6. und 7. Januar begangen.
Bereits seit Jahren werde in der Ukraine darüber diskutiert, über die Anlehnung an die christlichen Feiertage sich so auch von Russland zu distanzieren und sich mehr dem Westen anzuschließen, berichtet unser Korrespondent für Russland, Florian Kellermann. In den letzten Jahren seien diese Argumente allerdings nicht auf besonders fruchtbaren Boden gefallen.
"Eine Umfrage hat ergeben, dass 44 Prozent der Ukrainer*innen dafür sind, Weihnachten 'vorzuverlegen'."
Doch der russische Angriffskrieg habe in der Ukraine für ein Umdenken gesorgt: Laut einer Umfrage sind inzwischen knapp die Hälfte der Ukrainer*innen dafür, Weihnachten bereits am 25. Dezember und Heiligabend am 24. Dezember zu feiern.
Krieg sorgt für Umdenken
Es gebe noch einen zweiten Grund, sagt Florian Kellermann: In kommunistischen Zeiten war Sylvester zum allerwichtigsten Feiertag geworden, an dem es auch schon Geschenke gab. Das orthodoxe Weihnachtsfest am 6. und 7. Januar sei dahingehend "ein bisschen untergegangen".
"In der Sophienkathedrale, der bedeutendsten Kirche in Kiew, findet der wichtigste Gottesdienst dieses Jahr schon am 25. Dezember statt."
Die ukrainisch-orthodoxe Kirche erlaubt den Gemeinden inzwischen auch offiziell zu feiern, wann sie das möchten – also entweder jetzt schon oder im neuen Jahr. Der wichtigste Weihnachtsgottesdienst im bedeutendsten Gotteshaus der Ukraine, der Sophienkathedrale in Kiew, findet dieses Jahr tatsächlich schon am 25. Dezember statt.
Weihnachten ist politisch geworden
Bisher habe Weihnachten die Ukraine mit Russland verbunden, heute offenbar sehr viel weniger. Man könne also durchaus von einem Politikum sprechen, so Florian Kellermann.
Die Frage, wann Weihnachten gefeiert wird, ist die eine – die Frage, ob es überhaupt gefeiert werden kann, eine andere: Geschenke, schönes Essen, Besinnlichkeit… Viele Familien haben Schreckliches erlebt, ihnen ist nicht nach Feiern zumute. Außerdem gibt es stellenweise keinen Strom, die Wohnungen sind kalt und es muss mit Bombenalarm gerechnet werden.
Feuerpause nicht in Sicht
An Weihnachten oder anderen großen religiösen Feiertagen gibt es in Kriegen oft eine Art Feuerpause – doch davon ist momentan keine Rede. Der ukrainische Präsident hat Russland zwar aufgefordert, zu Weihnachten sich aus der Ukraine zurückzuziehen – doch das sei mehr Wunsch als realistische Perspektive.
Ziel der Angriffe der vergangenen Wochen sei der "Terror gegen die ukrainische Zivilbevölkerung" gewesen, so Florian Kellermann. Mit den Angriffen wolle Russland die Bevölkerung zermürben.
"Nach dem Terror gegen die ukrainische Zivilbevölkerung ist es ja fast schon logisch, dass Russland denkt: Wir wollen ihnen keine Möglichkeit zum Feiern geben."
Der ukrainische Ministerpräsident rechnet sogar eher mit verstärkten Angriffen – gerade vor Silvester, dem großen Fest in Russland. Mit dieser Befürchtung dürfte er nicht alleine sein.
Psycholog*innen sagen: Weihnachten trotzdem feiern
Viele Menschen leiden unter psychischen Problemen, berichtet Florian Kellermann. Da sie zu Hause Weihnachten feiern würden, während die Soldaten an der Front sind und kämpfen. Mit dem Geld, das sie noch übrig haben, versuchten viele Ukrainer*innen, die Armee zu unterstützen – oder zumindest die Bedürftigen in der eigenen Stadt. Jetzt Geschenke für sich zu kaufen, wirke in der aktuellen Situation für viele egoistisch.
"Viele Menschen fühlen sich einfach schuldig. Sie feiern zu Hause, wenn auch unter schwierigen Bedingungen – aber währenddessen liegen die ukrainischen Soldaten im Schützengraben."
Bewusst zu feiern, würden Psycholog*innen empfehlen, die in den Medien zu Wort kommen. Die Menschen sollten sich das auf keinen Fall verbieten. Wichtig seien nicht unbedingt die Geschenke, sondern dass ein Ritual fortgesetzt wird – also dass es trotz des Krieges immer noch ein bisschen Struktur im Jahresrhythmus gibt und die Familie Zeit miteinander verbringt.
Eine Psychologin habe auch empfohlen, sich gegenseitig zu beschenken mit Dingen, die funktionieren, auch wenn der Strom ausfällt: eine batteriebetriebene Lichterkette, eine Taschenlampe – oder einfach eine Kerze.
Hinweis: Unser Bild oben zeigt im Vordergrund die Sophienkathedrale in Kiew (Aufnahme aus dem Jahr 2011).