FaktencheckIn Deutschland kann jeder alles schaffen. Stimmt das?
Die meisten Millionäre haben sich ihren Reichtum selbst erarbeitet. Wer hart arbeitet, kann alles schaffen. Das steht in einigen Kommentaren unter einem Tiktok-Video auf dem Deutschlandfunk-Nova-Kanal @auf_und_ab. Doch was sagen Expert*innen und Studien dazu?
"Unpopular opinion, aber nicht jeder Mensch kann alles schaffen, nur weil er oder sie hart arbeitet. Denn Erfolg hängt nicht nur vom Mindset ab, sondern auch von äußeren Umständen wie Geld oder Bildungschancen", sagt Hostin Victoria in einem Tiktok-Video auf dem neuen Deutschlandfunk-Nova-Kanal @auf_und_ab. Dazu gab es viele Kommentare. Und viele widersprachen der Aussage über Chancengleichheit.
Deutschlandfunk-Nova-Reporter Jens Többen hat sich deswegen um einen Faktencheck gekümmert. Und weil die Antworten auf die Fragen oft komplex sind, hat er Studien gewälzt und bei Heike Solga, Professorin am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, nachgefragt.
1) Wenn man schlau ist, kann man 2024 in Deutschland alles erreichen. Stimmt das?
Die Frage ist natürlich zuerst, was unter "alles" fällt, doch so oder so spielt in Deutschland vor allem die soziale Herkunft eine große Rolle für Erfolg – das bezieht sich auf die Schulausbildung sowie auf die beruflichen Karrierechancen.
"Die Chancen, als Akademikerkind das Abi zu schaffen, sind sehr, sehr viel höher als wenn man aus einer Familie kommt, in der niemand Akademiker ist."
Auch das Ifo-Institut zeigt, dass soziale Herkunft einen Unterschied macht und sich damit auf die Startchancen auswirkt. Nur etwa jedes vierte Kind aus benachteiligten Verhältnissen besucht ein Gymnasium. Bei Kindern aus gut situierten Haushalten ist es jedes zweite Kind.
2) 80 Prozent der Selfmade-Milliardäre haben sich ihren Reichtum also selbst erarbeitet. Stimmt das?
Die Zahl stammt tatsächlich aus einer Studie der Firma Ramsay Solutions. Demnach haben 79 Prozent der Millionär*innen in den USA nichts geerbt oder geschenkt bekommen. Berücksichtigen muss man dabei allerdings, sagt Jens Többen, dass diese Informationen auf Selbstauskünften der Millionär*innen beruhen, sie also nicht überprüfbar sind.
"Der größte Kanal, um Millionär zu werden, sind Erbschaften. Das ist über Generationen angehäuftes Kapital, was weitervererbt wird."
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kommt in einer Studie zum Ergebnis, dass drei Viertel der Hochvermögenden in Deutschland schon mal Geld geschenkt oder vererbt bekommen haben. Dass diese Menschen also an Geld gekommen sind, hat nichts mit ihrer Leistung zu tun, sondern schlicht und einfach mit Glück, sagt Jens Többen.
3) Viele Menschen kennen heute keine harte Arbeit mehr. Stimmt das?
Wissenschaftlerin Heike Solga sagt dazu: Ja, wir arbeiten heute weniger physisch als früher. Es stimmt ebenfalls, dass die Einzelpersonen weniger Stunden arbeiten als zum Beispiel in den 1970ern. Gleichzeitig ist auch wahr: Heutzutage arbeiten mehr Leute als früher.
"Die Menschen liegen außerhalb ihres Jobs nicht nur auf der Couch, sondern engagieren sich in Vereinen oder übernehmen Care-Aufgaben zu Hause. Auch das ist Arbeit."
4) In Deutschland gibt es viel Chancengleichheit. Stimmt das?
Das ist eine Aussage, die sich am besten überprüfen lässt, wenn man den internationalen Vergleich betrachtet. Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) liegt Deutschland demnach im hinteren Mittelfeld.
Eine entscheidende Rolle spielt dabei, wie bereits bei der ersten Frage, die Bildung. Vor allem das Schulsystem steht hierbei in der Kritik, weil sich bereits nach den ersten vier Jahren entscheidet, auf welche weiterführende Schule Kinder kommen.
5) In Deutschland läuft doch aber auch einiges gut. Stimmt das?
Ja, das stimmt auf jeden Fall, sagt Jens Többen. Vor allem das Berufsausbildungssystem gilt als Erfolgsmodell, das es so in vielen Ländern nicht gibt.
Zum Abschluss sollte vielleicht noch betont werden: Natürlich können wir Ziele erreichen, wenn wir uns ins Zeug legen, zielstrebig sind oder hartnäckig bleiben. Aber einzig an unserer Motivation liegt es nicht, wenn wir Dinge (nicht) schaffen. Die Start- und Rahmenbedingungen spielen eine erhebliche Rolle beziehungsweise erleichtern es uns berufliche Ziele zu erreichen.