Die evangelische Kirche in der DDRWehrkunde versus Erziehung zum Frieden
1978 führt die Volksbildungsministerin Margot Honecker das Schulfach Wehrunterricht in der DDR ein. Für Jugendliche der 9. und 10. Klasse ist dieser Unterricht verpflichtend. Das bringt Kinder und Eltern aus christlichen Familien in einen Konflikt. Welche Optionen es gab und wie sich die evangelische Kirche in der DDR verhalten hat, erzählt der Kirchenhistoriker Klaus Fitschen.
Klaus Fitschen begreift die Militarisierung als eine der "Lebensgrundlagen der DDR". Schon im Kindergarten hinterlässt die Wehrerziehung in Richtung Zivilverteidigung Spuren, sagt er. In der Schule habe sie dann spätestens mit der Einführung des entsprechenden Schulfaches Kinder und Familien in Gewissenskonflikte gebracht: Sollten sie ihrem Glauben und Gewissen folgen? Oder sich militärisch ausbilden lassen?
"Betroffen waren alle Kinder und Jugendlichen. Das Militär, das Militärische wurden zu einem unausweichlichen Bestandteil des Lebensweges durch Kindergarten, Schule, Universität und Ausbildung."
Laut Klaus Fitschen habe diese Ausbildung der "Konformisierung und Entindividualisierung von Kindern und Jugendlichen" gedient. Wer ausscherte, musste mit Konsequenzen rechnen. Denn: Der Zugang zu höherer Bildung wurde mit der Teilnahme am Unterricht verknüpft.
Pazifismus und Friedenspolitik kommen in den Fokus
Zwar werden Wehrerziehung und Zivilverteidigung in der DDR großgeschrieben, gleichzeitig aber wächst nicht nur in der DDR und nicht nur in christlichen Gemeinden das Interesse an Pazifismus und Friedenspolitik. Die evangelische Kirche schreibt sich Friedensarbeit auf die Fahnen und muss sich zu dieser Thematik verhalten.
"Solche Abweichler – häufig aber nicht nur Kinder aus christlichen Familien – saßen dann im Klassenzimmer oder in der FDJ-Gruppe, und wer hier widersprach und sich entziehen wollte, wurde ausgegrenzt, gemaßregelt und diskriminiert."
1975 gibt die evangelische Kirche in der DDR eine Handreichung mit dem Titel "Erziehung zum Frieden" raus. Klaus Fitschen begreift die evangelische Kirche als einzige DDR-Organisation, die zumindest versuchen konnte, Kinder und Jugendliche in ihrer Gewissensentscheidung gegen eine zunehmende Militarisierung zu unterstützen und Diskriminierungen zu verhindern oder abzupuffern.
"Die Kirche konnte denen, die Widerspruch und Opposition wagten, eine Stimme geben, ihnen ein Dach bieten, sie tat das aber nicht in verlässlicher Weise."
Der Redner schildert, wie die evangelische Kirche auf die Einführung des neuen Schulfaches reagiert hat. Sie verfasste eine sogenannte Orientierungshilfe und im November 1978 einen Brief an alle Gemeinden, adressiert an die jeweiligen Pfarrämter.
Diese Orientierungshilfe der Kirchenleitung zur Einführung des Wehrunterrichts enthielt folgende Warnung: "Die frühzeitige Anerziehung militärischer Denkweise, Einstellungen und Verhaltensnormen im Schulunterricht kann dazu führen, dass die Chancen friedlicher Konfliktbeilegung in späteren Jahren gar nicht mehr wahrgenommen werden."
Der Vortrag
Klaus Fitschen hat den Lehrstuhl für Neuere und Neueste Kirchengeschichte an der Universität Leipzig inne. Seinen Vortrag mit dem Titel "Das Zeugnis des Friedens angesichts der Erziehung zum Hass: Die evangelische Kirche in der DDR und das Militär" hat er am 27. September 2021 auf der Tagung "Diskriminierung von Christen in den 1960er-Jahren der DDR" an der Universität Jena gehalten.