WahlforscherMehr Chancen für kleine Parteien durch Erstwähler
Bei der kommenden Europawahl dürfen erstmals Menschen ab 16 Jahren mitbestimmen. Eine Chance gerade für kleinere Parteien, meint Wahlforscher Thorsten Faas.
Durch die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre werden bei der Europawahl alleine in Deutschland 4,8 Millionen Menschen zum ersten Mal wählen können. Und sie werden mit ihren Stimmen einen nicht unbeträchtlichen Einfluss ausüben. Das ist auch den Parteien durchaus bewusst.
"Das ist wirklich ein großes Thema, dass die 16- und 17-Jährigen jetzt zum ersten Mal wählen dürfen. Es gibt auch Kampagnen, die die Gruppe ganz gezielt in den Blick nehmen."
Experten wie der Politologe und Wahlforscher Thorsten Faas erwarten, dass die Wahlbeteiligung junger Menschen bei der Europawahl 2024 recht hoch sein wird. In der Europabarometer-Umfrage des EU-Parlaments gaben 91 Prozent der 15-24-Jährigen an, dass ihnen die Teilnahme an der Europawahl wichtig ist.
Hohe Wahlbeteiligung bei Erstwählern erwartet
Dass es unter Erstwählerinnen und -wählern eine hohe Wahlbeteiligung gibt, ist aber nichts Neues oder Ungewöhnliches. Laut Thorsten Faas sind es eher die Menschen Anfang 20, bei denen die Wahlbeteiligung sinkt. Denn diese leben oft in Übergangssituationen, zum Beispiel verlassen sie erstmals das Elternhaus oder ziehen wegen des Studiums oder eines Jobs in eine neue Stadt.
Offenheit gegenüber Parteien
Erstwählerinnen und -wähler können noch auf keine Erfahrungen aus vergangenen Wahlen zurückgreifen. Daher sind sie offener gegenüber der Parteienlandschaft als ältere Wählerinnen und Wähler.
Bei der vergangenen Bundestagswahl kamen so auch einige überraschende Ergebnisse zutage: Zum Beispiel wählten deutlich mehr junge Menschen die FDP, als im Vorfeld erwartet worden war. Es sei auch heute nicht mehr so, dass eine der etablierten Parteien mehr für die Jugend stünde als andere.
"Da gibt es nicht die eine einzige Partei, die abräumt. Die Jugend als solche, die zu 100 Prozent eine Partei wählt, ist eine Illusion."
Bei der Europawahl gibt es keine Sperrklausel. Das heißt, dass eine Partei nicht wie sonst eine Mindestanzahl an Prozenten erzielen muss, um dann im Europäischen Parlament vertreten zu sein.
"Das heißt, es lohnt sich potenziell auch bei dieser Europawahl mehr als bei anderen Wahlen, eine kleine Partei zu wählen."
Entsprechend versuchen gerade neue Parteien sehr gezielt, junge Wählerinnen und Wähler anzusprechen. Dennoch liegen laut der Studie "Jugend in Deutschland" die CDU und die Grünen mit jeweils etwa 12 Prozent als etablierte Parteien in der Gunst der 16-21-Jährigen vorn.
Themen der Zeit erkennen
Dabei reagieren gerade junge Leute laut Thorsten Faas stärker auf die Themen der Zeit: Lange lag der Klimaschutz weit vorne. In den letzten Jahren haben aber für die 16- bis 21-Jährigen Themen wie zu teurer Wohnraum, der Krieg in Europa oder die wachsende Spaltung der Gesellschaft deutlich an Bedeutung zugenommen.
"Natürlich verschiebt diese Themenagenda auch den Blick auf die Welt und potenziell auch die Partei."
Es sei also wichtig, diese Gruppe insgesamt nicht über einen Kamm zu scheren, sondern genau zu schauen, was die Themen der Zeit sind. Worüber wird in den sozialen Medien viel berichtet? Von dort bezieht ein Großteil der jungen Wählerinnen und Wähler ihre Informationen.
"Leichte Korrektur" der Überalterung
Doch werden die Erstwählerinnen und -wähler großen Einfluss darauf haben, welche Parteien und Fraktionen am 9. Juni das Rennen machen? Bei insgesamt 65 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland fallen 4,8 Millionen Stimmen natürlich nicht allzu sehr ins Gewicht.
"Und es geht ja nicht nur um diese Europawahl, sondern das sind ja, wenn man es mal etwas pathetisch formuliert, die Wählerinnen und Wähler der nächsten Jahrzehnte."
Den Stimmen der jungen Menschen stehen viel mehr Stimmen älterer Menschen entgegen. Dennoch könne die Herabsenkung des Wahlalters laut Thorsten Faas "zumindest zu einer kleinen Korrektur" in Zeiten der rasanten Überalterung in Europa führen. Und: Die Parteien werben auch deshalb um die Stimmen der jüngsten Wählerinnen und Wähler, weil sie sie für zukünftige Wahlen gewinnen wollen.