Alena BuyxEthikrat: "Die Impfpflicht schafft insgesamt die bessere Freiheitsbilanz"

Der Deutsche Ethikrat spricht sich dafür aus, die Impfpflicht auszuweiten. Die Vorsitzende des Rats, Alena Buyx, begründet bei Deutschlandfunk Nova diese neue Einschätzung.

Bisher hatte der Deutsche Ethikrat eine allgemeine Impfpflicht ausgeschlossen. Inzwischen haben die Mitglieder des Rats ihre Empfehlung angepasst und sprechen sich nun für eine Ausweitung der Impfpflicht aus.

Diese könnte allerdings erst im Februar oder März des kommenden Jahres eingeführt werden. Zu spät, um die von Experten erwartete fünfte Welle - mit Omikron als möglicher dominierende Variante - noch abzuschwächen.

Von einer Ausweitung wird gesprochen, da bereits am 10. Dezember eine Impfpflicht im Gesundheitsbereich ab März 2022 im Deutschen Bundestag beschlossen wurde.

Faktenlage erforderte Prüfung der bisherigen Empfehlung

Die Vorsitzendes des Ethikrats, Alena Buyx, hatte noch im Feburar 2021 geäußert, dass sich absehbar nichts an der Empfehlung gegen eine allgemeinen Impfpflicht ändern würde.

Stand heute (22.12.) schätzen die Mitglieder des Rats die Situation nun anders ein. Das liege daran, dass sich die Faktenlage verändert habe und es unter diesen Vorzeichen unverantwortlich sei, bisherige Empfehlungen nicht erneut zu prüfen, sagt die Vorsitzende Alena Buyx im Deutschlandfunk-Nova-Interview.

"Das was die Leute unter Impfzwang und Zwangsimpfung verstehen, das muss ausgeschlossen werden - das haben wir klipp und klar gesagt."
Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrats

Mit einer Erklärung, die von 20 der 24 Mitgliedern verabschiedet wurde, kommt der Ethikrat zu dem Ergebnis, dass eine Impfpflicht als Schutz vor den möglicherweise gravierenden Folgen künftiger Pandemiewellen gerechtfertigt sei.

"Wir haben uns das wirklich nicht leicht gemacht. Wir haben sehr intensiv die unterschiedlichen Argumente abgewogen", sagt die Vorsitzende des Ethikrats. Dabei haben die Ratsmitglieder erörtert, wie sehr eine Ausweitung der Impfpflicht die Freiheit derjenigen einschränkt, die sich nicht impfen lassen wollen, gegenüber denjenigen, die dadurch eingeschränkt werden, dass die Pandemie anhält.

Denn bisher sind rund 70,5 Prozent (Stand: 22.12.) der Menschen in Deutschland geimpft. Um die Pandemie besser kontrollieren zu können, müssten rund 90 Prozent der Erwachsenen durch eine Impfung immunisiert werden.

Ethikrat: Eine ethische Orientierung leisten

Mit dem Hinweis auf den zweiten Absatz des zweiten Grundgesetzartikels wurde in den vergangenen Monaten öffentlich darüber diskutiert, ob es überhaupt rechtens ist, eine Impfpflicht einzuführen.

Mit den ersten beiden Sätzen legt der Artikel das Recht auf körperliche Unversehrtheit fest: "Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich." Mit dem dritten Satz eröffnet sich allerdings eine juristische Möglichkeit für eine allgemeine Impfpflicht. Da heißt es im Wortlaut: "In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden."

Zudem umfasst das Recht von körperlicher Unversehrtheit auch ein Recht auf ein möglichst geringes Ansteckungsrisiko. Das gilt vor allem für Menschen, die zu Hochrisikogruppen zählen, und wenn sich solche Maßnahmen wissenschaftlich nachweisen lassen. Im Fall der Impfpflicht für Pflegepersonal lies sich dies Begründung als juristische Argumentation heranziehen.

"Es darf nicht passieren, dass man denkt: Man führt so eine Impfpflicht ein und damit ist alles erledigt."
Alena Buyx, Vorsitzde des Deutschen Ethikrats

Ein wichtiger Grund die bisherige Empfehlung des Deutschen Ethikrats erneut zu prüfen, seien die neuen Varianten Delta und Omikron, sagt Alena Buyx. Durch sie seien die erforderlichen Impfquoten nun höher - zuvor war man davon ausgegangen, dass eine 70-prozentige Impfquote ausreiche. Diese Annahme gilt nun als überholt, bestätigt die Vorsitzende des Ethikrats.

Auch die Vorstellung von einer sogenannten fairen Lastenverteilung sei ausschlaggebend für den Ethikrat gewesen. Die Frage, die diskutiert wurde, war, wie belastend es sei für die Bürger sei, wenn es immer neue Pandemiewellen gebe.

Viele Menschen könnten nicht die medizinische Behandlung erhalten, die sie benötigen, weil die Krankenhäuser überlastet seien, führt Alena Buyx dazu als Begründung an.

Einen Impfzwang beziehungsweise eine Zwangsimpfung, die mit Gewalt durchgesetzt wird, schließt die Vorsitzende des Ethikrats aus.

Empfehlungen um eine hohe Impfquote zu erreichen

Zu dem warnt sie davor, die Impfpflicht als ein Allheilmittel misszuverstehen. Es sei wichtig, bei den bisherigen Maßnahmen und Bemühungen nicht nachzulassen: dazu zählten niedrigschwellige Impfangebot, viel Kommunikation und Aufklärung. Weiterhin empfiehlt die Vorsitzende des Ethikrats mit folgenden Maßnahmen eine hohe Impfquote zu sichern:

  • eine flächendeckende Infrastruktur
  • genügend Impfstoff
  • ein nationales Impfregister
  • Impf-Einladung mit konkretem Termin
"Wir wollen alle nachhaltig und dauerhaft diese Pandemie kontrolliert haben. Das muss einfach vorbeigehen im nächsten Jahr, und wir brauchen dafür sehr hohe Impfquoten."
Alena Buyx, Vorsitzde des Deutschen Ethikrats