Ethik und KritikDie Grenzen der Moral
Was heute als moralisch gilt, kann morgen schon anders sein. Was andere als unmoralisch empfinden, kann euch als vollkommen okay erscheinen. Der Philosoph Thomas Schmidt untersucht in seinem Vortrag die Grenzen der Moral und die moralische Kritik.
Die Vorstellung davon, was als moralisch gilt, wandelt sich – und wird sich immer wandeln. Sex vor der Ehe etwa: Noch in der Generation unserer Großeltern oder sogar der unserer Eltern absolut verurteilt, findet das hierzulande heute kaum noch jemand per se wirklich falsch.
"Konsens ist immer, auch in moralischen Angelegenheiten, verführerisch, weil er dazu verleitet, Einigkeit für Begründbarkeit zu halten."
Ein gewisser Konsens über Moral ist wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, gleichzeitig ist ein gewisses Maß an Dissens auch absolut normal – und auch notwendig, wenn man dem Philosophen Thomas Schmidt folgt. "Daraus, dass wir alle gemeinsam glauben, dass etwas moralisch gefordert oder verboten ist, folgt nicht, dass es so ist", mahnt er. Und ergänzt: "Meinungen können falsch sein."
Kritik an moralischen Auffassungen
In seinem Vortrag zur Kritik an Moral untersucht er ausgewählte Strukturmerkmale moralischer Wertung, die er für besonders charakteristisch und interessant hält – oder mit Thomas Schmidts Worten: "ein blühender Garten bemerkenswerter Phänomene". Dafür benutzt er spannende Fallbeispiele, die auch zeigen, wie unklar die Grenzen der Moral sein können.
"Wie kann es denn sein, dass etwas moralisch erlaubt ist, zu dem es eine bessere Alternative gibt?"
Wir alle sollten unsere moralischen Vorstellungen hinterfragen, rät er. Wir sollen prüfen, ob wir unsere moralischen Ansichten auch gut begründen können, Raum lassen für Kontroversen und Dissens und uns nicht nur mit Menschen umgeben, die unsere Auffassungen teilen.
"Wir sollten uns im Klaren darüber sein, dass wir vielleicht falsch liegen, auch in moralischen Angelegenheiten und offen gegenüber der Möglichkeit moralischen Irrtums sein."
Thomas Schmidt ist Professor für Praktische Philosophie/Ethik am Institut für Philosophie der Humboldt Universität Berlin. Seinen Vortrag mit dem Titel "Über die Pflicht hinaus. Ethische Forderungen und die Grenzen der Moral" hat er am 17. November 2022 im Rahmen der Ringvorlesung "Kritik als Praxis. Praxis als Kritik – Künste, Sprache, Recht, Religion und Moral" der Freien Universität Berlin gehalten.
"Die natürliche Antwort darauf, wer denn entscheiden sollte, ob irgendetwas moralisch richtig ist oder nicht, ist natürlich: Ja niemand!"