Ethik und FortpflanzungSamenspender-Urteil: Kein Recht auf Enkel
Das Sperma ist eingefroren und der Kinderwunsch des toten Sohns überliefert. Seine Mutter hat trotzdem keinen Anspruch auf ein Enkelkind, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden. Aus Rücksicht auf das Kindeswohl ist das Urteil gut, sagt ein Ethiker.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat eine Klage auf Herausgabe von Sperma eines Toten abgewiesen. Die Beschwerde von Dominique Petithory Lanzmann sei unzulässig, hat das Straßburger Gericht am 5. Dezember 2019 geurteilt.
Die Klägerin wollte eine Pariser Klinik zwingen, ihr das eingefrorene Sperma ihres verstorbenen Sohnes Félix Lanzmann zur Verfügung zu stellen, um damit in einer Fortpflanzungsklinik in Israel ein Kind zeugen zu lassen.
Herausgabe des Spermas verweigert
In Frankreich war Dominique Petithory Lanzmann in allen Instanzen vor Gericht unterlegen, nachdem das öffentliche Centre d’études et de conservation des oeufs et du sperme die Herausgabe des Spermas verweigert hatte. Dann hat sie beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Klage eingereicht.
Artikel acht der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiere zwar das Recht auf ein Familienleben. Dies umfasse aber nicht das Recht auf Großelternschaft, urteilen die Straßburger Richter.
"Ich halte das Urteil aus ethischer Sicht für richtig, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls."
Der Bioethiker Christoph Rehmann-Sutter begrüßt das Urteil. Es berücksichtige die Perspektive des Kindes und das sei die abwesende Partei, die erst entstehen würde. Die Narration, die Abstammung, die Erzählung, die das Kind dann kriegen würde, sei ethisch problematisch. Das Kind würde zwar erfahren, dass sein Vater es gewollt hätte. Die Tatsache, dass es einen zum Zeitpunkt der Zeugung bereits toten Vater hätte, mache die Erklärung der Herkunft kompliziert.
Mit möglichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen könne man hier nicht argumentieren, sagt Christoph Rehmann-Sutter, diese wären in diesem Fall wohl nicht zu erwarten.
"Es wäre zwar eine Leihmutter und es wäre Fortpflanzungstechnologie im Spiel, aber das sind alles etablierte Methoden. Vom medizinischen Standpunkt aus ist das eigentlich bedenkenlos."
Dadurch dass Dominique Petithory Lanzmann in Israel lebt, ergibt sich ein spezieller Kontext, sagt Christoph Rehmann-Sutter. Er weist darauf hin, dass es in Israel eine ganz starke Wertschätzung des Kinderkriegens gibt, viel stärker als bei uns. Die ständige Kriegssituation habe offenbar in Israel dazu geführt, dass man es für möglich hält, einem Kind zu erzählen, dass der Vater vor der Zeugung verstorben ist.
Kinderwunsch als letzter Wille
Dominique Petithory Lanzmanns Sohn hatte sich nach ihren Angaben kurz vor seinem Tod im Jahr 2017 ein Kind gewünscht. Die Klägerin wollte ihm diesen letzten Wunsch durch künstliche Befruchtung erfüllen. In Israel ist anders als in Frankreich die Leihmutterschaft erlaubt. Die Klägerin ist die Witwe des 2018 verstorbenen französischen Journalisten, Autors und Regisseurs Claude Lanzmann. Das Urteil liegt bislang nur in französischer Sprache vor. Die Spermabank könne die Samen nun getrost entsorgen, findet Christoph Rehmann-Sutter.
"Das Sperma muss man, glaube ich, jetzt mal auftauen und wegwerfen."