ErinnerungsforschungAleida Assmann: Die Nation nicht den Nationalisten überlassen
Gedenktage, Museen, Auszeichnungen – Gemeinschaften legen fest, worüber gesprochen wird, welche Ereignisse in Erinnerung gehalten werden. Gleichzeitig verständigen sie sich über das, was verdrängt und vergessen werden soll. Der Begriff "Nation" wurde zu lange ins Schweigen verbannt und dann einseitig aufgeladen, sagt die Erinnerungsforscherin und Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann in ihrem Vortrag.
"Erinnert wird, was die Identität der Gruppe bestärkt und die Identität der Gruppe befestigt die Erinnerungen", meint Aleida Assmann. Erinnern und Vergessen sind zwei Seiten einer Medaille. Sich selbst rechnet die Rednerin zu den Kosmopoliten und Intellektuellen, die zum Vergessen des Begriffes "Nation" beigetragen haben. Diese hätten lieber zu transnationalen Erinnerungen geforscht.
"In unserem liberalen Denken vergaßen wir die Nation."
Aleida Assmann und ihr Mann, der Ägyptologe Jan Assmann, haben den Begriff des "kulturellen Gedächtnisses" geprägt. Welches Kollektiv erinnert was und wie? Was wird hingegen verdrängt?
Europäische Erinnerungskultur ohne Nationen
Wie fundamental unterschiedlich diese Erinnerungskulturen geprägt sein können, beschreibt sie anhand der Debatte um das Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel: Dort sei eine pluralistische, transnationale Geschichte des Kontinents konzipiert und erzählt worden. Polen und andere Vertreter von Visegrád-Staaten haben das deutlich kritisiert. Ihnen fehlten die Nationen in dieser Erzählung von Europa.
"Hören wir doch endlich damit auf, uns ewig von Nationalgeschichte zu Nationalgeschichte zu unterhalten, ohne uns zu verstehen."
Wieso also umgehen mit einem Begriff, der manchen kontaminiert zu sein scheint und der von anderen extrem aufgeladen wird?
Begriff der Nation nicht den Nationalisten überlassen
Aleida Assmann meint, wir dürfen den Begriff der Nation nicht den Nationalisten überlassen. Ihre Argumentation stützt sie auf die Überlegungen von drei Wissenschaftlern:
- den Politikwissenschaftler Francis Fukuyama
- den Soziologen Maurice Halbwachs (ein Vordenker des Konzeptes eines "kollektiven Gedächtnisses")
- den Historiker George Mosse
"In Deutschland hat die Skepsis gegenüber der Nation negative Wirkungen. Eine davon ist, dass die rechten Parteien leichtes Spiel haben, dieses geräumte Terrain zu besetzen."
Wie genau dieser Begriff von liberaler Seite positiv zu füllen wäre, sagt die Rednerin nicht explizit. Allerdings streicht sie heraus, dass er andernfalls von Nationalisten und Rechtsextremen als Kampfbegriff genutzt würde.
"Für mich ist das die große Errungenschaft des Zweiten Weltkrieges: Dass die Deutschen einfach nicht mehr kämpfen wollen."
Aleida Assmann hat Ägyptologie und Anglistik studiert, vor ihrer Emeritierung lehrte sie an der Universität Konstanz. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Jan Assmann wurde sie für ihre Arbeit 2018 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Ihren Vortrag mit dem Titel "Die Wiedererfindung der Nation: Erinnerung, Identität, Emotionen" hat sie am 28. Januar 2020 auf Einladung der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder gehalten.