NeurowissenschaftErinnerung an 2020: Wir können unser Gedächtnis steuern
Wenn wir jetzt zum Jahresende an 2020 zurückdenken, dann wird die Pandemie dabei wohl einen großen Platz einnehmen. Was bleibt uns eigentlich im Gedächtnis und wovon wird das beeinflusst? Auch von uns selbst, verrät ein Neurowissenschaftler. Was hängen bleibt und ob unsere Erinnerungen eher positiv oder negativ sind, können wir auch steuern.
Am ersten Weihnachtstag wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wieder die Weihnachtsansprache halten und dabei wohl auf das Jahr zurückblicken. Höchstwahrscheinlich geht es dann die Pandemie und ihre Folgen, denn die hat 2020 die meisten anderen Ereignisse kräftig überschattet.
2020: Viele Tage waren ähnlich
Wegen Homeoffice, Quarantäne und Kontaktbeschränkungen seien viele Tage dieses Jahr vielleicht ähnlicher verlaufen als sonst, sagt der Neurowissenschaftler und Gedächtnissportweltmeister Boris Konrad. Viele Menschen waren häufiger am selben Ort als üblich. Für das Gehirn sei es sehr schwierig, diese Tage später noch auseinanderzuhalten. Der Neurowissenschaftler vermutet, dass wir uns zwar an das Jahr 2020 als Ganzes deutlich spezifischer erinnern werden als an andere, die einzelnen Tage aber deutlich mehr verwischen werden.
"An das Jahr 2020 werden wir uns wahrscheinlich spezifisch erinnern – Pandemien gibt es nicht so oft. Einzelne Tage werden aber eher verwischen."
Trotz allem habe es auch im Corona-Jahr 2020 einige starke Peaks gegeben – etwa, als der Lockdown angekündigt wurde. Vor allem besonders emotionale Nachrichten hinterlassen in unserem Hirn starke Spuren, erklärt Boris Konrad. Je emotionaler der Moment, desto größer ist die Chance, dass wir uns daran erinnern. Das Emotionssystem und das Erinnerungssystem hängen nämlich eng zusammen.
Je höher die Emotion, desto stärker die Erinnerung
Ob wir Menschen uns eher negative oder eher positive Ereignisse merken, da sei sich die Forschung nicht so ganz einig, sagt der Neurowissenschaftler. Es liegt aber wohl an der eigenen Persönlichkeit: Menschen, die eher positiv eingestellt sind, scheinen sich tendenziell auch eher positive Dinge zu merken. Leute mit einer eher traurigen Grundstimmung oder einer wirklichen Depression erinnern wohl dagegen tendenziell eher die negativen Dinge.
Das Corona-Jahr 2020 habe sehr viele Menschen in eine eher negative Grundstimmung versetzt, so dass davon auszugehen sei, dass wir von diesem Jahr eher Negatives behalten.
"2020 könnte vielleicht eher das Negative hängenbleiben."
Aber wir können das ändern, auch nach diesem schwierigen Jahr: Wir können unsere Erinnerung steuern, uns mehr auf das Positive zu konzentrieren. Es ist unsere Wahl, worauf wir den Fokus legen, sagt Boris Konrad.
Eigene Erinnerungen steuern
Es komme darauf an, woran und wie wir uns an etwas erinnern. So lasse sich etwa die wahrscheinlich eher negative Erinnerung an die gerade ausgefallene Weihnachtsfeier mit Freunden einbetten in einen positiven Kontext: indem wir uns etwa ins Gedächtnis rufen, dass uns die Feier 2019 richtig viel Spaß gemacht hat, und dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit 2021 auch wieder stattfinden wird.
Auch wenn das Jahr 2020 im sogenannten kollektiven Gedächtnis insgesamt wahrscheinlich eher negativ hängenbleibt, diese Sichtweise müssen wir nicht für unser persönliches Erinnern übernehmen, sagt der Neurowissenschaftler. So hätten Menschen ja zum Beispiel vielleicht das Homeoffice eher positiv empfunden und dessen Vorteile gesehen und genutzt. Und erst im Nachhinein sei ihre Sicht auf quasi alles, was mit Corona zu tun hat, durch die kollektive Erinnerung ins Negative gerückt worden.
"Wir können uns trainieren, den Fokus auch auf das Positive zu legen. Wir können von all den schönen Dingen erzählen, die 2020 plötzlich möglich waren."
Neben Corona gab und gibt es nämlich noch viele, viele andere Themen und Ereignisse. Das kann etwas Großes sein wie die Geburt eines Kindes, aber auch etwas scheinbar Kleines wie einfach "nur" ein gutes Gespräch mit einem lieben Freund.