ChancenungleichheitPhilosoph: "Erbschaft gehört abgeschafft"
Wir sind mitten in einer Erbschaftswelle. Die Generation Wirtschaftswunder vererbt an die der Babyboomer. Sie erhalten ihr Erbe kurz vor dem Renteneintritt. In seinem Vortrag erklärt der Philosoph Stephan Gosepath, warum er Erben und Vererben für ungerecht hält.
Das Geld, das wir während unseres Lebens verdienen, und die Dinge, die wir kaufen, gehören uns. Wir haben Steuern dafür gezahlt, es ist unser Eigentum. Also können wir auch selbst darüber verfügen und entscheiden, was wir damit machen. Sollte das auch über unseren Tod hinaus gelten? Nein, sagt der Philosoph Stephan Gosepath.
"Die Babyboomer erben, wenn sie in Rente gehen. Warum müssen Kinder mit über 60 von ihren Eltern noch etwas bekommen, damit der Wert der Familie bewahrt wird?"
Erben: Vermögend per Zufall
In seinem Vortrag argumentiert er dafür, Erben und Vererben grundsätzlich abzuschaffen. Damit vertritt er eine deutlich radikalere These als Kritiker*innen, die für eine höhere Erbschaftssteuer plädieren. Erben ist ungerecht, sagt Stephan Gosepath, weil es zu Ungleichheit führt. Es widerspricht einem Wert, den wir als Gesellschaft hochhalten: der Chancengleichheit.
Erben führt dazu, dass Vermögen ungleich verteilt wird. Diejenigen mit reichen Eltern haben bessere Chancen als andere. Geld, so der Philosoph, lässt sich direkt in Chancen umwandeln, indem man zum Beispiel für Privatschulen zahlt oder Nachhilfe. Solche Chancen zu bekommen, nur weil die Eltern vermögend sind, sei ein moralisch irrelevanter Zufall und deshalb ungerecht.
"Die gängige soziale Praxis des Vererbens, wie wir sie heute haben, ist ungerecht und gehört deshalb abgeschafft."
In seinem Vortrag geht Stephan Gosepath im Detail zunächst darauf ein, was gegen das Prinzip des Vererbens spricht. Im zweiten Teil betrachtet er die Gründe, die für das Vererben sprechen und erklärt, warum er diese Gründe nicht für überzeugend hält.
Der Vortrag von Stephan Gosepath hat den Titel "Warum Vererbung ungerecht ist?" Er hat ihn am 4. Januar 2023 am Philosophischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin gehalten. Stephan Gosepath ist Professor für Praktische Philosophie an der Freien Universität Berlin und beschäftigt sich vor allem mit Fragen der politischen Philosophie, wie Gerechtigkeit, Gleichheit und Demokratie.