Einkaufen im NetzWie Onlineshopping süchtig machen kann

Es ist Black-Friday-Woche und überall werden wir mit Werbung bombardiert. Mal eben was im Netz bestellen. Geht super einfach. Kann aber auch kritisch werden, wenn das Onlineshoppen außer Kontrolle gerät – und zur Sucht wird.

Wer kennt es nicht: Ihr scrollt über eure Insta-Timeline und jeder vierte Post ist Werbung. Das Fiese ist: Die ist mittlerweile oft verdammt gut auf uns zugeschnitten. Wer sowieso eine gewisse Tendenz hat, mehr Geld auszugeben als da ist und schnell Kaufentscheidungen fällt – dem wird es so noch viel schwerer gemacht, zu widerstehen.

Zu diesen Personen gehört auch Lola. Sie ist kaufsüchtig. Ihrer Meinung nach ist die Kaufsucht vergleichbar mit einer Sucht nach Drogen.

"Also ich sag immer, das ist wie bei einer Droge. Da kann man ja auch sagen, ich nehme die nicht. Aber davon runterzukommen, ist total schwierig. Und so ist das auch bei der Kaufsucht."
Lola, leidet unter Kaufsucht

Für Lola gibt es beim Kaufen zwei Momente der Freude: Beim ersten Klick der Bestellung und wenn es dann an der Tür klingelt und sie ankommt.

Freude über Gekauftes hält nur kurz an

Das Problem ist allerdings: Die Freude ist nur von kurzer Dauer. Danach kommt der Moment, in dem sich Lola schlecht fühlt. Und dann schaltet sie in eine Art Verdrängungsmodus.

"Kurz nachdem ich was bestellt hab, hab ich maximal einen Tag geschafft und dachte mir: Jetzt brauche ich aber wieder was Neues, worauf ich mich freuen kann."
Lola, leidet unter Kaufsucht

Für Lola kam dieser Hang zum unkontrollierten Kaufen aber nicht erst mit den Möglichkeiten des Onlineshoppings. Sie sagt, sie habe nie gelernt, mit Geld vernünftig umzugehen.

Immer das Verlangen, etwas Neues haben zu müssen

Sie habe immer das Gefühl, etwas wirklich zu brauchen. Zum Beispiel den Merch von ihrer Lieblingsserie Stranger Things. Aber ohne Insta und ohne Onlineshops mit Ratenzahlung wäre es nie so schlimm geworden, so Lola. Geld werde da irgendwie abstrakt. Beim Bargeld habe sie da zumindest noch ein bisschen Einfluss gehabt.

"Beim Onlineshopping (...) kamen Sachen, die man mit Bargeld nicht machen kann: nämlich ins Minus gehen, Klarna-Schulden machen. Das habe ich leider für mich entdeckt."
Lola, leidet unter Kaufsucht

In einer Zeit, in der es Lola psychisch nicht gut geht und das Kaufen ihr kurze Momente der Ablenkung und Aufheiterung verschafft, nimmt es dann extreme Ausmaße an. Der Höhepunkt: Innerhalb eines Monats gibt sie 3500 Euro aus. Sie bestellt jeden Abend Essen, Makeup und Klamotten.

Ausgaben in einem Monat: 3500 Euro

Patrick Trotzke von der Kölner Charlotte Fresenius Hochschule für Psychologie kann die Gefahren des Onlinehandels für Kaufsucht-Gefährdete bestätigen. Der Psychotherapeut behandelt und erforscht das Phänomen Kaufsucht seit mehr als zehn Jahren. Zu ihm in die Praxis kommen auch Menschen in Behandlung, die darunter leiden.

Vor allem die Option der Ratenzahlungen seien für diese Menschen ein großes Problem. Pathologischen Käufer*innen oder Menschen, die ohnehin schon Schwierigkeiten mit ihrem Kaufverhalten haben, falle es hier schwer, die Kontrolle aufrechtzuerhalten.

"Der größte Faktor, den wir jetzt auch verstärkt sehen in den letzten Jahren, sind eben die Ratenzahlungen der großen Zahlungsdienstleister. Das haben sie so im stationären Einzelhandel nicht."
Patrick Trotzke, Psychotherapeut

Er bestätigt, dass es vor allem die permanenten Reize im Netz und die immer geringeren Kaufhürden seinen Patient*innen schwer machen:

  • unendliche Auswahl
  • rund um die Uhr
  • bestellen mit einem Klick (Adresse und Zahlungsdaten sind bereits hinterlegt)
  • passgenaue Werbe-Algorithmen, die einem all das unter die Nase reiben, was man noch nicht hat

Wann man beim Onlineshopping von Suchtverhalten spricht

Ein sehr wichtiges Kriterium, um von Suchtverhalten zu sprechen, sei dann gegeben, wenn man seine Shoppinglust auch dann weiter ausführt, obwohl sie schon negative Konsequenzen nach sich gezogen hat. Beispiel: Ihr habt schon mal euer Konto überzogen, Schulden angehäuft oder es gab familiäre Konflikte aufgrund eurer Kaufgewohnheiten – ihr könnt aber trotzdem nicht aufhören mit dem Onlineshopping.

Für Betroffene geht das mit psychischem Druck und sehr konkreten Konsequenzen einher. Auch Lola kennt diese – wenn zum Beispiel Zahlungsaufforderungen ankommen.

"Und dann kommen direkt Mahnungen. Das ist so ein furchtbarer Druck und da will man am liebsten im Erdboden versinken und sagen, ich will das alles nicht."
Lola, leidet unter Kaufsucht

Studien zeigen: Frauen scheinen häufiger von kaufsüchtigem Verhalten betroffen zu sein. Und: Je jünger, desto gefährdeter ist eine Person. Das beobachtet auch Psychotherapeut Patrick Trotzke: "Es kommen immer mehr Menschen, die Mitte 20 sind und ins Leben starten mit einer Privatinsolvenz."

Vor allem junge Leute verschuldet

Die Wissenschaft kommt bislang noch zu keinem eindeutigen Ergebnis zum Zusammenhang zwischen Onlineshopping und Kaufsucht. Doch im aktuellen Schuldneratlas für Deutschland zeigt sich: Die private Verschuldung in Deutschland sinkt in fast allen Altersgruppen – außer in einer: bei den unter 30-Jährigen. Für Patrick Trotzke liegt der Grund auf der Hand: "Wer benutzt häufig moderne Medien oder digitalisierte Medien? Das sind eben junge Menschen."

Die Zeit rund um den Black Friday oder die Weihnachtszeit sind für Menschen mit krankhaftem Kaufverhalten die schwierigsten Zeiten im Jahr, weiß Trotzke. Drastische Maßnahmen wie etwa die Stimuluskontrolle könnten aus seiner Sicht helfen.

"Da [bei der Stimuluskontrolle] müssen sie eben ihre Apps, die entsprechende Werbung anzeigen, meiden. Nicht benutzen. Sich ein bisschen abschotten, um besser Kontrolle reinzukriegen."
Patrick Trotzke, Psychotherapeut

Die gute Nachricht ist: Es gibt nachhaltige Methoden, um eine Kaufsucht therapeutisch zu behandeln. Lola hat sich mittlerweile einen Job gesucht, um einen besseren Bezug zum Geld zu bekommen. Sie hofft, dadurch Kaufentscheidungen zukünftig besser zu überdenken. Lola wünscht sich aber nicht nur, ihre Kaufsucht in den Griff zu kriegen, sondern auch Verständnis von ihren Mitmenschen zu erfahren. Sie hat nämlich den Eindruck, dass Kaufsucht noch nicht als ernsthaftes Problem angenommen wird.