Ein Jahr Covid-19Coronavirus: Hätten wir besser vorbereitet sein müssen?
Corona hat Geburtstag: Am 8. Dezember 2019 wurden in Wuhan in China erstmals Erkrankungen registriert. Im Januar 2020 stufte die WHO diese dann als Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 ein. Für uns ist die Corona-Pandemie etwas völlig Ungewohntes. Medizinhistorisch sieht das anders aus. Wir klären, was wir aus früheren Pandemien hätten lernen können - oder müssen.
Fast ein Jahr nach den ersten Fällen von Wuhan tauschen sich Ende dieser Woche einmal mehr Staats- und Regierungschefs aus aller Welt über die Corona-Pandemie aus. In einer Sondersitzung der UN-Vollversammlung debattieren sie über geeignete Maßnahmen. In Wuhan hat sich die Situation nach offiziellen Angaben etwas normalisiert. In Europa dagegen stecken wir mitten in der zweiten Welle.
"Ich glaube, wir haben eine ganze Menge aus dem Umgang mit der Spanischen Grippe vor hundert Jahren gelernt."
Auch bei der Spanischen Grippe vor hundert Jahren sei die Welt überrascht und überfallen worden, sagt der Medizinhistoriker Philipp Osten. Zur schwierigen Situation gegen Ende des Ersten Weltkriegs – der Krieg war für Deutschland eigentlich schon verloren – sei dann auch noch diese Grippe dazugekommen.
Spanische Grippe traf das Deutsche Reich unvorbereitet
In Deutschland sei das erst mal kaum registriert worden. Aus Berichten gehe hervor, dass massenhaft Sektionen durchgeführt wurden und die Ärzte dabei festgestellt haben, dass die Menschen alle an der Spanischen Grippe gestorben sind. Richtig registriert worden sei das damals aber nicht. Es gebe noch nicht einmal eine Statistik des Deutschen Reichs darüber, wie viele Personen in dieser ersten Phase der Grippe ums Leben gekommen sind.
Die USA hätten damals ein besseres System gehabt, so Philipp Osten Sie konnten die Fälle registrieren und ergriffen dann auch, quasi als einziges Land, effektive Gegenmaßnahmen – die nach 2020 klingen: Maskenpflicht und Verbot von Massenveranstaltungen. Regional sei das Vorgehen aber sehr unterschiedlich gewesen – auch das erinnert an heute. In einigen Städten der USA seien die Schutzmaßnahmen sehr strikt umgesetzt worden, in anderen lascher. Auch Proteste habe es gegeben, die irgendwann nachgelassen haben. Durch all diese Abläufe habe man Vergleichsdaten.
Vergleichsdaten für 2020
Auch eine zweite Welle habe es bei der Spanischen Grippe damals gegeben. Und auch, wenn der Eindruck heute überwiegen mag, dass wir auf die zweite Corona-Welle nicht gut oder nicht gut genug vorbereitet waren: "Doch, im Prinzip waren wir das schon", sagt Philipp Osten. In dem Moment, in dem die Maßnahmen gelockert wurden und die Kontakte nicht mehr direkt nachverfolgt werden können, sei klar gewesen, dass es diese zweite Welle geben würde.
"In dem Moment, in dem es ein unentdecktes Reservoir gibt, ist das die Basis für eine zweite Welle."
Die erste Welle kam von außen, da habe man die Kontakte über einen scharfen Lockdown genau nachvollziehen können. Stück für Stück sei das Virus dann aber eben in die breitere Bevölkerung eingesickert – in vielen Fällen unentdeckt. Genau das sei die Basis für eine zweite Welle. Sehr, sehr früh zu Beginn dieser zweiten Wellen hätten die Maßnahmen dann wieder angezogen werden müssen. Das wiederum sei aber eben immer auch eine politische Entscheidung, um die, wie wir wissen, hart gerungen wurde und nach wie vor wird.
Direkter Vergleich der Pandemien kaum möglich
Eins zu eins eine Parallele zwischen unterschiedlichen Pandemien zu ziehen, sei ihm als Medizinhistoriker verboten, sagt Philipp Osten. Allein schon, weil die Spanische Grippe und Covid-19 von unterschiedlichen Erregern erzeugt wird oder worden ist. Ein Stück weit sieht er sich aber schon als Ratgeber – und merkt in dieser Rolle an, dass etwa Schulschließungen sehr effektiv seien. Das sei seit über hundert Jahren bekannt.
"Schulschließungen sind sehr effektiv, das wissen wir seit über hundert Jahren. Beispiel: die Masern."
Gegen die Masern konnte man damals noch nicht impfen – die Fallzahlen stiegen nach den Ferien deutlich an. Die Schulen generell schließen wollte man aber auch nicht. Damals wie heute in der aktuellen Corona-Situation müssten wir uns entscheiden, was wir wollen, sagt der Medizinhistoriker: entweder eine komplette Kontrolle oder einen Mittelweg aus Maßnahmen, die wir für akzeptabel halten und denjenigen, die unbedingt notwendig sind.
"Entscheiden, was wir wollen"
Der Impfstoff, den es schon jetzt gibt oder für diejenigen, die ihn wollen, bald geben wird, sei psychologisch ein riesengroßer Schritt. Denn er bedeute, dass wir nun etwas in der Hand haben gegen diese Krankheit. Nicht sie bestimmt uns, sondern wir können bald sie bestimmen. Bisher habe sich die Bevölkerung lediglich mit einer Maske schützen können, bald sei das anders. Die Impfung sei eine Art geplatzter Gordischer Knoten.