Mehr als 20 Jahre Bürgerkrieg"Das Kongo Tribunal"
Zufällig wurden der Schweizer Regisseur Milo Rau und sein Team Zeugen des Massakers in dem kongolesischen Dorf Mutarule, bei dem 2014 über 30 Frauen und Kinder getötet wurden. Wie es dazu kommen konnte, arbeitet er in seinem Doku-Film mittels eines fiktiven Prozesses auf.
Der Dokumentarfilm "Das Kongo Tribunal" ist ein Riesenprojekt des Schweizer Regisseurs Milo Rau. Seit mehr als 20 Jahren herrscht ein blutiger Krieg im Kongo, dem bis heute über sechs Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind. Kriegsverbrechen wurden bis heute nie juristisch verfolgt. Grund für die Auseinandersetzungen sind, so Vermutungen, Rohstoffe und Seltene Erden, die für die High-Tech-Industrie von Bedeutung sind.
Bereits 2013 hat sich Milo Rau für Recherche-Drehs in dem Land aufgehalten und wurde zufällig Zeuge des Massakers von Mutarule. Um zu verstehen, warum es im Kongo zu Vertreibungen und Massakern kommt, hat er das Projekt "Das Kongo Tribunal" begonnen. Auch um zu zeigen, was wir selbst mit diesen Massakern zu tun haben.
In dem fiktiven Tribunal verhandeln Menschen, die unmittelbar betroffen sind: Opfer, Täter, Zeugen, Minenarbeiter, Rebellen, Minister, Anwälte des Internationalen Strafgerichtshofs, Milizionäre, Politiker, Uno- und NGO-Angehörige, Rohstoffhändler und Menschenrechtsaktivisten. Drei Fälle lässt der Regisseur Milo Rau exemplarisch vor der Kamera verhandeln. Der Fernsehsender arte bezeichnet das Projekt Raus als seine "größenwahnsinnigste Arbeit". Umfangreiche Recherchen gingen dem Projekt voraus. Dafür zuständig war Eva-Maria Bertschy.
"Was schockierend war an dieser Geschichte und was uns im "Kongo Tribunal" beschäftigt hat, war der Umstand, dass sowohl das kongolesische Militär als auch die Uno-Mission zehn Minuten von Mutarule stationiert waren. Die haben aber auf obersten Befehl hin nicht eingegriffen."
Viele Menschen, erzählt Eva-Maria Bertschy, haben ihr bei den Recherchen zu dem Film berichtet, dass sie das Militär vorgewarnt und informiert hätten. Aber selbst nach dem "Kongo Tribunal" kann Eva-Maria Bertschy immer noch nicht sagen, warum das Militär das Massaker nicht verhindert hat.
"Das ist typisch für den Kongo: Es sind immer wieder hohe Politiker oder Militärs in die Straftaten mitverwickelt. Das war eines der Resultate unserer Untersuchungen und unseres Tribunals."
Neben Politikern und Militärs sind an den Straftaten auch all diejenigen beteiligt, die im Kongo Geld verdienen und vom dem Chaos, das dort herrscht, profitieren. Eva-Maria Bertschy glaubt, dass wenn das Chaos in dem Land beendet würde, die Zivilgesellschaft die Chance hätte, ihre Rechte einzufordern wie zum Beispiel, dass Minenunternehmen in der Region Steuern bezahlen und sich am Aufbau einer Infrastruktur beteiligen.
Viele Massaker werden nicht verfolgt und aufgearbeitet
Die Menschen in Mutarule hatten Glück, dass zufällig das Filmteam vor Ort war und das Massaker mit der Kamera festhalten konnte. Denn, so Eva-Maria Bertschy: "Ganz oft passieren diese Massaker im Kongo einfach so. Am Ende gibt es noch ein paar Zeitzeugen und im Grunde keine richtigen Spuren davon."
Auch nach dem Massaker sind die Menschen von Mutarule allein gelassen worden: Der Innenminister tauchte kurz zur Beerdigung auf, erzählt Eva-Maria Bertschy. Aber die Uno ist auch danach nicht gekommen, weil sie Angst vor den wütenden Reaktionen der Bevölkerung hatte.
Für das Tribunal hat das Team mit einem Menschenrechtsanwalt aus dem Ostkongo und einem Anwalt aus Den Haag zusammengearbeitet. Das Tribunal bestand aus einem Untersuchungsleiter und einer sechsköpfigen Jury. Beteiligt waren auch nationale und internationale Experten, Menschenrechtsaktivisten, Anwälte und Journalisten. Während drei Tagen fanden Hearings statt, bei denen alle zu Wort kamen. Auch der Innenminister und der Gouverneur wurden verhört. In den anderen beiden Fällen ging es um Minenunternehmen.
Am Ende des Prozesses musste die Jury entscheiden, was die Verantwortlichkeit des Militärs, der Uno-Mission, der Regierung und der multinationalen Unternehmen in den drei Fällen war.
"Wir waren sehr überrascht, dass die Regierungsvertreter die gesamten drei Tage da waren. Wir hatten die gesamte Regierung auf der Bühne."
Dabei war auch einer der prominentesten Oppositionspolitiker aus Kinshasa, der in der Region sehr populär ist, sagt Eva-Maria Bertschy. Dadurch kam die Provinzialregierung unter Zugzwang und sah keine andere Möglichkeit, als sich auch zu beteiligen.
Mit den Zeugen führten Eva-Maria Bertschy und das Team lange Vorgespräche. Alle hatten die Option, auch anonym auszusagen. "Die wenigsten haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht", sagt sie, denn: "Alle wollten auf der Bühne sein und Anklage erheben."
Stattgefunden hat das Tribunal bereits 2015. Zahlreiche Gäste haben die drei Verhandlungstage verfolgt. Im Sommer 2017 ist das Team mit dem fertiggestellten Film wieder vor Ort gewesen.
"Im Kongo herrscht seit 20 Jahren Straflosigkeit. Es gibt kein Gericht, das für die Straftaten, die begangen werden, zuständig ist."
Die Wirtschaftsverbrechen, Vertreibungen, Zwangsumsiedlungen ahndet niemand. Dass jemand versucht, ansatzweise die Verbrechen aufzuklären, war für die meisten eine Genugtuung, sagt Eva-Maria Bertschy.
"Wir hatten hunderte von Anfragen danach von Menschen, die uns ihre Dossiers überreicht und gesagt haben: Das müsst ihr unbedingt auch noch aufarbeiten. Es war verrückt zu sehen, wie wichtig das für die Leute war."
Das Ergebnis des Prozesses: Die Regierung und die multinationalen Unternehmen wurden verurteilt. Im Falle von Mutarule wurde die Uno-Mission frei gesprochen. Nur: Das Urteil hat keine Rechtskraft.
Dennoch: Der Innenminister und der Minenminister wurden direkt nach dem Tribunal entlassen. Mit einem weiteren Film und Folgeprojekt versucht das Team den Druck auf die Verantwortlichen weiter zu erhöhen, damit die Straflosigkeit im Kongo ein Ende nimmt und ein Gerichtshof eingerichtet wird, der all die Verbrechen aufarbeitet.