Komplexitätsforscher Dirk Brockmann"Kollektives Verhalten generiert einen Konflikt, weil wir als Individuum denken"
Dirk Brockmann analysiert komplexe Zusammenhänge – wie etwa die Ausbreitung von Infektionskrankheiten. Er sagt, die Pandemie kann nur auf globaler Ebene gelöst werden. Und das funktioniere nur, wenn es überall auf der Welt genügend Impfstoff gibt. Der Blick allein auf Deutschland reiche da nicht.
Dirk Brockmann ist Physiker und Komplexitätsforscher. "Ich habe mich immer für komplizierte Phänomene interessiert, die in anderen Bereichen stattfinden, also zum Beispiel in der Biologie oder in den Sozialwissenschaften", sagt er. Dirk Brockmann ist einerseits Professor an der Humboldt Universität in Berlin, im Bereich der Biologie. Und gleichzeitig hat er eine Arbeitsgruppe am Robert Koch-Institut, wo er sich mit der Modellierung von Infektionskrankheiten beschäftigt.
Bereits seit 2003 beschäftigt er sich mit der Ausbreitung von Infektionskrankheiten. Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie ist er deswegen so gefragt wie nie – vor allem auch in den Medien.
"Pandemie-Modellierung ist ein Teil der Sachen, die wir wissenschaftlich versuchen besser zu verstehen – aber tatsächlich auch nur ein Teil."
Neben der Ausbreitung von Infektionskrankheiten analysiert er auch andere Dinge, wie etwa soziale Netzwerke – generell komplexe Phänomene an der Schnittstelle zwischen Biologie und Sozialwissenschaften – und versucht sie zu verstehen.
"Ich habe das immer gesagt: Unsere Kontakte sind die Nahrung für das Virus. Ohne Kontakte könnte es sich nicht ausbreiten."
Auch er verstehe letztlich nicht genau, warum die Pandemie gerade so läuft wie sie verläuft, sagt der Komplexitätsforscher: "Es ist ein komplexes Phänomen, wo ganz viele Faktoren eine Rolle spielen: unser Kontaktverhalten, wie viele Leute geimpft sind, wie viele Leute in welchen Altersgruppen geimpft sind. Die Jahreszeit spielt eine Rolle. Dann spielt eine Rolle, dass wir es jetzt mit dieser Delta-Variante zu tun haben." Und auch Corona-Müdigkeit spiele eine Rolle, also Verhaltensänderungen, die sich über eine lange Zeit hinweg einstellen.
"Und ich versuche, das halt immer so ein bisschen aus der Vogelperspektive zu betrachten."
Der Wissenschaftler betrachtet nicht nur die vielen verschiedenen Faktoren und Zahlen in Deutschland, sondern er vergleicht sie auch mit dem Geschehen in anderen Ländern und sucht nach Gemeinsamkeiten. "Ich habe immer gesagt, diese Pandemie ist eigentlich ein gesellschafts-dynamisches Phänomen in erster Linie, weil die Dynamik durch unser Verhalten getrieben wird", sagt er.
Menschen verursachen Staus – auch ohne Unfall
Einerseits liege es in unserer Hand, wie die Pandemie verläuft, so Brockmann. "Andererseits ist es vielleicht auch so, dass wir letztendlich gar nicht so viel selbst entscheiden, weil wir ja auch Automatismen unterliegen und quasi auch Herdentiere sind", gibt er zu bedenken.
Er bezieht sich dabei auf das Beispiel eines Staus: Niemand entscheide, dass ein Stau auf der Autobahn entstehe. Aber es gebe manchmal sogenannte Phantomstaus. Obwohl gar kein Unfall passiert ist, stehen plötzlich alle. "Und das ist ein kollektives Phänomen", sagt Dirk Brockmann, "obwohl alle Individuen entscheiden können: 'Wir könnten jetzt alle 120 fahren, dann kommen wir schneller ans Ziel.' Machen aber nicht alle. Und so entsteht dann im Kollektiv etwas, was nicht clever ist.“
Wenn ihr mehr darüber erfahren wollt, wie Dirk Brockmann die Pandemie und andere Phänomene analysiert und warum er findet, dass der Mensch keine Sonderstellung einnimmt, sondern einfach ein Teil der Biosphäre ist, dann klickt auf den Play-Button und hört euch das gesamte Gespräch an.