Weltöffentlichkeit und DiktaturAls US-Journalist im "Dritten Reich"
Berlin war auch nach 1933 eine Hauptstadt, aus der Auslandsjournalistinnen und -journalisten berichten wollten. Wie sie dort gelebt und gearbeitet haben und wie gut sie informiert waren über die Vorgänge in der Diktatur, hat der Historiker Norman Domeier recherchiert. Und dabei einige Entdeckungen gemacht.
Während die deutsche Berichterstattung gleichgeschaltet war, konnten ausländische Berichterstatter erstaunlich frei berichten. Tatsächlich, sagt der Historiker, waren sie über manche Vorgänge und Pläne des NS-Regimes ausgezeichnet und frühzeitig informiert.
"Wussten die gewöhnlichen Deutschen in ihrer kontrollierten Öffentlichkeit nur, was das NS-Regime erlaubte, war in den USA tagesaktuell fast alles über das 'Dritte Reich' zu erfahren."
Einige US-Journalisten waren auch nah dran an Akteuren wie Hermann Göring, Joseph Goebbels oder Adolf Hitler. Diese wiederum waren interessiert an in ihrem Sinne 'positiver Berichterstattung' im Ausland. Nach Domeiers Beschreibung erzeugte die Vielzahl an Themen, Maßnahmen und Verbrechen des NS-Regimes einen regelrechten Nachrichtenrausch, dem die Korrespondenten einerseits ausgesetzt waren, den sie andererseits aber auch selbst miterzeugten oder in ihrer Heimatländer hinein verstärkten.
"Konzentrationslager, Kirchenkampf, Aufrüstung, Kriegsgefahr - all das waren Themen, die Auslandskorrespondenten liebten. Viele Redaktionen forderten irgendwann ihre 'atrocity-story of the week' aus dem 'Dritten Reich'."
Domeiers Befunde sind erstaunlich. Demnach sendete der Radiojournalist Max Jordan den Text des Münchner Abkommens am 29. September 1938 schon 17 Minuten nach der Unterzeichnung in die USA, und damit, bevor die britische Regierung ihn überhaupt von ihren Unterhändlern erhalten hatte. Jordan wusste auch im April 1940 bereits zwei Tage vor der deutschen Invasion Dänemarks und Norwegens, dass dieser Angriff erfolgen sollte. Der Historiker hat auch einen geheimen Deal zwischen der Presseagentur Associated Press und den Nationalsozialisten recherchiert, der dafür sorgte, dass zwischen 1942 und 1945 schätzungsweise 40.000 Pressefotos zwischen beiden Ländern ausgetauscht worden sind.
Was allerdings nicht oder kaum berichtet wurde, war der organisierte Mord der europäischen Juden durch die Deutschen. Domeier spricht in diesem Zusammenhang von einer "eklatanten medialen Ignoranz".
"Obwohl sie bis 1941 mitbekamen, wohin das Regime in der sogenannten Judenfrage steuerte, beschäftigten sich die großen Namen wie Lochner, Wiegand, Schultz, Jordan nicht oder nur am Rand mit dieser 'Story'."
Norman Domeier ist Historiker an der Universität Stuttgart und Gastprofessor für deutsche und europäische Geschichte an der Karls-Universität Prag. 2021 erschien seine Habilitationsschrift unter dem Titel "Weltöffentlichkeit und Diktatur: Die amerikanischen Auslandskorrespondenten im 'Dritten Reich'".
Am 17. Januar 2023 hat er auf Einladung des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam und des Vereins der ausländischen Presse in Deutschland in der Berliner Gedenkstätte "Topographie des Terrors" vorgetragen, und zwar unter dem Titel "Weltöffentlichkeit und Diktatur".
Redaktioneller Hinweis:
Unser Aufmacherbild zeigt Reichskanzler Adolf Hitler, der in seiner Rede vor dem Reichstag in Berlin am 1. September 1939 den Angriff auf Polen begründet. Hitler, in Soldatenuniform, vermeidet das Wort Krieg und erklärt, daß die Wehrmacht auf polnische Aggression hin zurückgeschossen hätte: "Seit 5:45 wird jetzt zurückgeschossen".