DemokratieforschungStrukturwandel: Schlecht für die Volksparteien
Politikberater oder Marketingexperte sind übliche Jobs heute. Wer solche Berufe wählt, ist anders ausgebildet und hat andere gesellschaftliche und politische Vorlieben als zum Beispiel ein Facharbeiter der 60er und 70er Jahre. Die Erosion der Volksparteien, nicht nur in Deutschland, ist auf diesen Strukturwandel zurückzuführen, sagt die Politikwissenschaftlerin Silja Häusermann. Und damit auch der Aufstieg rechter Parteien.
Egal ob in der Schweiz, in Österreich, in Belgien oder in Deutschland – Volksparteien haben ein Problem. Sie verlieren ihre Basis: Wählerinnen und Wähler.
Die Schweizer Politologin Silja Häusermann stellt sich drei Fragen: Was ist der Grund für diese Entwicklung, lässt sie sich beeinflussen und wie verändert das insgesamt die Demokratie?
"Das Argument ist, dass die Volksparteien heute in ihrer Wählerschaft soziale Gruppen und Elektorate vereinigen, die nicht mehr dasselbe wollen."
Die Wurzel dieser Entwicklung sieht sie in vier Trends, die seit vier Jahrzehnten westeuropäische Gesellschaften prägen:
- Bildungsexpansion
- Entwicklung von Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft
- Feminisierung des Arbeitsmarktes
- Veränderung der Sozialstaatspolitik
"Die Träger dieser neuen sozialen Bewegungen, das war die neue Mittelklasse. Sie hat auf der Linken einen kulturell-gesellschaftspolitisch liberalen Pol etabliert."
Mit dem Strukturwandel einher ging laut Silja Häusermann das Aufkommen einer Neuen Linken, angestoßen durch soziale Bewegungen der 70er und 80er Jahre. Frauenbewegung, Umweltbewegung und Friedensbewegung seien Keimzellen dieser neuen Mittelklasse und ihrer gesellschaftlichen und politischen Ideale. Für die Parteienlandschaft zahlreicher europäischer Länder bedeute das: die Sozialdemokratie und moderate Rechte verliert Zustimmung, Grüne Parteien, Extreme und Extreme Rechte gewinnen (siehe Grafik).
"In Skandinavien und Kontinentaleuropa, im angelsächsischen Europa und in Südeuropa – überall finden sie einen massiven Anstieg der Mittelklasse in der Wählerschaft der linken Parteien."
Laut Silja Häusermann haben die Volksparteien in allen von ihr untersuchten Ländern in den vergangenen 20 Jahren zehn bis 20 Prozentpunkte verloren. Aber: Nicht alle linken Parteien haben verloren. Und: Parteien am rechten Rand reagieren auf diese gesellschaftliche Entwicklung.
"Ab Mitte der 80er Jahre hat sich bereits eine Gegenbewegung zu dieser Neuen Linken formiert."
Zielgruppe dieser Neuen Rechten sind laut der Politikwissenschaftlerin diejenigen, die vom Strukturwandel am wenigsten profitiert haben – die männliche untere Mittelschicht.
Silja Häusermann lehrt Politikwissenschaft an der Universität Zürich. 2018/19 ist sie Fellow am Wissenschaftskolleg Berlin. Ihren Vortrag mit dem Titel "Von der stillen Revolution zum offenen Kulturkampf: Demokratie in der postindustriellen Gesellschaft" hat sie am 23. Januar 2019 an der Universität der Künste Berlin gehalten.