DemokratieforschungWie diejenigen wählen, die sich nicht repräsentiert fühlen
Globalisierungs- und Modernisierungsverlierer wählen nicht, oder sie wählen Populisten, lautet eine oft gehörte Aussage. Das mag zutreffen, sagt unser Redner, aber wir müssen noch genauer hinschauen. Dann erkennen wir eine weitere relevante Gruppe: die Repräsentationsverlierer. Menschen, die sich von und in unserer parlamentarischen Demokratie nicht vertreten fühlen. Ein Vortrag des Politikwissenschaftlers Armin Schäfer.
Nach jeder Wahl das gleiche Ritual: Politikerinnen bedauern die geringe Wahlbeteiligung. Und dann geht es weiter mit dem Tagesgeschäft. Seit ein paar Jahren kommt noch etwas Neues hinzu: populistische Parteien, die Nichtwähler mobilisieren. Armin Schäfer schaut sich die Nicht- und Protest-Wähler genauer an. Wer wählt nicht? Wer wählt am Rand? Seine Antwort: Repräsentationsverlierer, "diejenigen, die nicht repräsentiert werden in der Demokratie".
"Für die Frage, was entschieden wird, ist es nicht völlig irrelevant, wer die Entscheidung trifft."
Er macht drei Facetten von politischer Teilhabe aus:
- Wahlbeteiligung unterschiedlicher Milieus, nach Einkommen und Bildungsabschluss aufgeschlüsselt
- Repräsentation, also: Wer sitzt in den Parlamenten
- Responsivität, also: Wessen Wünsche und Interessen werden politisch umgesetzt?
"Spielt es eine Rolle, dass es so gut wie keine Arbeiterinnen oder Arbeiter mehr in den Parlamenten gibt? Spielt es eine Rolle, dass fast alle, die in nationalen Parlamenten sitzen, studiert haben?"
Wie gut fühlt die Studienrätin ihre Interessen politisch vertreten? Der U-Bahn-Fahrer? Der Anwalt? Die Arbeitslose? Da gibt es große Unterschiede – und die macht unser Redner sichtbar. Er hat sich durch große Datenberge gefräst – und kommt immer wieder zum selben Resultat:
"Je höher die Arbeitslosenquote in einem Stadtteil ist, desto niedriger ist die Wahlbeteiligung."
Politische Entscheidungen bedienen nicht alle Wahlberechtigten gleichermaßen. Armin Schäfer führt sich das bei jeder Wahl mit einer kleinen Recherche in seinem Umfeld vor Augen. Wie war eigentlich die Wahlbeteiligung in meinem Stadtteil verglichen mit dem ärmsten und dem reichsten Stadtteil, fragt er sich dann. Und auch, wenn er die Daten anderer Städte prüft, lokale, nationale und auch internationale Befunde vergleicht, stellt er "Muster ungleicher Repräsentation" fest.
"63 Prozent aller Nichtwähler kommen aus den zwei untersten Einkommensgruppen. Wenn wir dann noch die oberste Einkommensgruppe angucken, die reichsten 20 Prozent, dann stellen die nur 8 Prozent der Nichtwähler."
Das kann uns nicht egal sein, findet der Redner. "Wer über den Erfolg des Rechtspopulismus spricht, darf über politische Ungleichheit nicht schweigen", sagt er.
Armin Schäfer lehrt Politikwissenschaft an der Universität Münster. Seinen Vortrag mit dem Titel "Demokratie in Gefahr: Politische Ungleichheit in Deutschland" hat er am 11. April 2019 an der Universität Witten-Herdecke gehalten.
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