Blickkontakt-ExperimentSchau mir in die Augen!
Dem Gegenüber ein paar Minuten in die Augen blicken, ohne etwas anderes zu tun - die einen verlieben sich dabei, die anderen brechen zu einem psychedelischen Trip auf.
Ihr steht im Supermarkt an der Kasse, sagt "Hallo", zahlt, sagt "Danke" und vielleicht noch "Schönen Tag". Alles, ohne eurem Gegenüber an der Kasse einmal in die Augen zu blicken. Das funktioniert, aber schön ist das nicht und vielleicht haben sich deshalb Liberators International gegründet. Die Gruppe setzt sich für mehr menschliches Miteinander und mehr Augenkontakt ein. Schon zwei Mal haben sie weltweite Augenkontakt-Experimente organisiert.
Social Artist Peter Sharpe
Gründer und Ideengeber ist der Australier Peter Sharpe. Er nennt sich selbst Social Artist und macht Experimente mit Menschen auf der Straße. Flashmobs, Umarmungsaktionen mit wildfremden Menschen oder ekstatische Tanz- und Gesangseinlagen in der U-Bahn. Ihr könnt euch das auf Youtube ansehen.
Armin Bufe hat sich von einer Aktion der Liberators International anstecken lassen und macht jetzt selbst Aktionen. Unsere Autorin Franziska Felber hat Armin besucht und sich auf ein Experiment eingelassen. Das Ziel: drei Minuten lang einer fremden Person in die Augen schauen. Ohne zu sprechen und vor allem ohne wegzugucken.
Kontaktaufnahme mit Blicken
Armin hat schon viele solcher Augenkontakt-Experimente mit fremden Menschen auf der Straße organisiert. Er ist Ende 20, arbeitet als Masseur und hat eine Meditationspraxis. Armin wirkt aufgeräumt und konzentriert - und Franziska kann sich gut vorstellen, gleich in seinen hellblauen Augen zu versinken.
Trotzdem ist sie nervös, weil sie nicht weiß, was als Nächstes passiert. Manche Leute sollen eher körperlich auf den Augenkontakt reagieren. Sie beschreiben zum Beispiel ein fließendes Gefühl. Andere reagieren emotional, manche lachen, andere weinen.
Armin schlägt vor, sofort loszulegen und legt seinen Handy-Wecker auf den Beistelltisch. Aber Franziska geht das zu schnell. Sie hat noch ein paar Fragen: In welches Auge sie gucken soll oder ob sie etwas falsch machen kann. Armin versucht, sie zu beruhigen. Und startet die Stoppuhr des Smartphones.
"Es ist ein Experiment. Deshalb lassen wir den Leuten auch so viel Freiraum wie möglich."
Franziska schaut Armin in die Augen - das berühmte Fenster zur Seele. Studien versprechen, dass wir uns per Blickkontakt sogar verlieben können. Denn das Gehirn schüttet dabei das Hormon Phenylethylamin aus. Es sorgt für Lust- und Glücksempfinden. Und eine weitere Studie aus dem vergangenen Jahr zeigt: Wenn sich zwei Fremde vier Minuten in die Augen gucken, synchronisieren sich ihre Hirnströme. Sie blinzeln dann auch im gleichen Takt.
Als Mutter des Augenkontakt-Experiments gilt die Künstlerin Marina Abramovic. Sie hat im Jahr 2010 über Monate hinweg Museumsgäste im New Yorker MoMA empfangen. Sie konnten ihr gegenüber Platz nehmen und ihr in die Augen blicken. Ein Moment, in dem wir nirgendwohin können, als zu uns selbst und so viele Gefühle explodieren, beschreibt es die Künstlerin. Viele Teilnehmer brachen in Tränen aus, sprachen von einer wichtigen Lebenserfahrung.
Glück per Blick
Auch Armin hat nach seinen Augenkontakt-Experimenten schon Sätze gehört wie: "Das war der schönste Tag meines Lebens." Franziska bemerkt als erstes, dass bei ihr alle Gedanken verschwinden. Sie nimmt nur noch die Augen ihres Gegenübers wahr. Immer schärfer und größer. Irgendwann scheinen sie unabhängig im Raum zu schweben. Sie will das Bild nicht verlieren, aber irgendwann gibt sie dem Drang nach zu blinzeln. Und dann ist da dieses Gefühl, nichts mehr falsch machen zu können. Sie sieht blaue, pulsierende Muster, Lichteffekte. Dann klingelt der Wecker - die drei Minuten sind vorbei. Es ging schnell, sagt Franziska, und dass sie sich noch wie weggebeamt fühlt. Weinen musste sie nicht, obwohl sie sich vorher den ganzen Tag lang ein bisschen traurig gefühlt hatte.
Blaue, pulsierende Muster
Armin und Franziska seufzen simultan - vielleicht ein Beweis für die Hirnströme, die sich angeglichen haben? Armin hat solche Experimente schon hunderte Male gemacht - und es sei jedes Mal anders, sagt er. Der psychedelische Trip, auf dem Franziska war, sei nur eines von vielen Phänomenen.
"Es gibt Leute die wollen einen ganz sicheren Space, die wollen den anderen erfahren und mitkriegen. Und es gibt Leute, für die ist das ein Trip."
Pulsierende Pupillen, zuckende Gesichtsmuskeln, minutenlanges Lachen - Armin hat bei seinen Augen-Experimenten schon alles Mögliche erlebt - nur etwas Schlechtes noch nie, versichert er. Franziska fühlt sich erfrischt und gar nicht mehr traurig. Ihr Fazit: Ein bisschen menschliche Nähe tut eben immer gut.