DelusionshipWenn wir uns in eine Fantasie verlieben
Paul war in eine Frau verliebt, mit der er monatelang nur gechattet hat. Beim Treffen hat er dann gemerkt: Das ist es nicht. Die Psychologische Psychotherapeutin Rosalie Weigand erklärt, wie wir damit umgehen können, wenn eine Beziehung nur in unserem Kopf existiert.
Paul ist aus einer langjährigen Beziehung gekommen, als er sich auf einer Dating-App angemeldet hat. Dort hat er eine Frau kennengelernt, er nennt sie Anna, und er dachte, sie würde seine nächste Liebe werden.
"Manchmal kann das auch was Schönes sein, dass man sich mit einem Menschen permanent unterhalten kann, der nicht im eigenen Freundeskreis ist, der irgendwie ganz weit weg von allem scheint."
Mit Anna hat Paul von morgens bis abends geschrieben und sich mit ihr über alles Mögliche in seinem Leben ausgetauscht. Drei Monate ging das so. Drei Monate, in denen er irgendwann das Gefühl hatte, verliebt zu sein in Anna. Aber: Getroffen haben sich die beiden in dieser Zeit nie.
Vertrautheit in der Anonymität
Wie Anna wirklich ist, was für eine Ausstrahlung sie hat und ob sich beide zueinander hingezogen fühlen, wenn sie sich gegenüberstehen – das blieb lange unklar. Paul wollte ein Treffen lieber hinauszögern. Zum einen, sagt er, mag er es zu schreiben. Aber da war noch was anderes: Das, was er mit Anna hatte, war losgelöst von seinem Alltag. Er konnte sich mit ihr über Persönliches austauschen, ohne dass sie ein Teil davon war, weil sie zum Beispiel seinen Freundeskreis nicht kannte.
Mit Anna hatte er eine Vertrautheit, die er bewahren wollte: "Ich habe mit dieser Person nichts Negatives verbunden. Es war eher die Vorstellung, dass man gesagt hat: Das ist ein Mensch, mit dem matcht es so gut, dass man sich – so komisch es klingt – irgendwie eine gemeinsame Zukunft vorstellen könnte", sagt Paul. Dieses Bild, das er von Anna in seinem Kopf hatte, wollte er nicht zerstören. Er wollte vermeiden, womöglich enttäuscht zu werden, wenn er Anna wirklich kennenlernt.
"Ich bin eher der Typ Mensch, der gerne schreibt, der sich gerne in diese Fantasie ein bisschen hineinsteigert, was das wohl für ein Mensch sein könnte."
Nach drei Monaten kam es dann aber doch zu einem persönlichen Treffen – und Pauls Fantasie ist zerplatzt wie eine Seifenblase. "Als wir uns getroffen haben, habe ich festgestellt, dass mich diese Projektion und vor allem die Differenz zwischen der Person, die ich mir vorgestellt habe und der Person, die ich dann getroffen habe, so groß war, dass eine spontane Enttäuschung eingetreten ist", sagt er. Die tollen Gespräche, die sie beim Schreiben hatten, haben sich nicht auf die Realität übertragen. Es war krampfig, meint Paul. Ein zweites Treffen wollte er nicht.
Verliebt in eine Fantasie
Diese Erfahrung mit Anna ist rund zehn Jahre her. Paul war damals Anfang 20. Heute ist er 30 Jahre alt. Damals dachte er, dass er nach der Trennung mit seiner Ex-Freundin einfach noch nicht bereit war, jemand anderen zu daten. Heute hält er es auch für möglich, dass er damals eine Delusionship hatte.
Delusionship setzt sich zusammen aus den englischen Begriffen "Delusion" (Täuschung) und "Relationship" (Beziehung). Den Begriff hat in erster Linie Social Media geprägt. Delusionship ist auch als TikTok-Trend bekannt. Das bedeutet: Delusionship ist kein psychologischer Fachbegriff und wird in der Form auch nicht erforscht. Rosalie Weigand, Psychologische Psychotherapeutin, erinnert das Phänomen an eine intensive Schwärmerei, die viele noch aus dem Teenager-Alter kennen. Also zum Beispiel das Gefühl, so richtig in einen Promi verknallt zu sein, ohne die Person näher zu kennen.
Von der Fantasie in die Realität kommen
Über so einen Promi-Crush können wir uns als Teenager quasi im Verknalltsein herantasten, so die Psychotherapeutin. Wenn wir älter werden, gehe es aber darum, tatsächliche Beziehungserfahrungen zu sammeln – im realen Leben mit realen Menschen.
"Ich würde sagen, das Problem beginnt dann, wenn sich die Person zusehends aus dem realen Leben zurückzieht, weil sie dann nicht die notwendige Erfahrung im realen Leben macht."
Zum Problem können Delusionships dann werden, wenn wir in dieser Phase feststecken und so in unserer Traumwelt unterwegs sind, dass wir den Bezug zur Realität verlieren. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass wir uns aus unserem Umfeld immer mehr zurückziehen, weniger mit Freund*innen unternehmen oder unseren Hobbys nicht mehr so nachgehen wie vorher, meint Rosalie Weigand.
Im Vergleich zur Schwärmerei hält die Psychotherapeutin bei einer Delusionship also einen gewissen Leidensdruck für wahrscheinlicher. Sollte uns auffallen, dass wir den Großteil unserer Zeit gedanklich bei der Person sind, über die wir eine Beziehungs-Fantasie haben, dann kann es helfen, wenn wir unseren Fokus wieder aktiv auf andere Bereiche in unserem Leben ausrichten, sagt sie.
Hinweis: Unser Bild im Banner oben ist ein Symbolbild. Darauf ist nicht Paul abgebildet.