Debatte um ImpfpflichtPolitikwissenschaftlerin: "Bisher war Impfen Privatsache - das sollte es auch bleiben"
Die Inzidenzen steigen, doch die Impfbereitschaft sinkt. Jetzt werden Stimmen um Impfpflichten oder mehr Freiheiten für Geimpfte laut. Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot findet: Es verbieten sich Maßnahmen, mit denen Druck auf die Bevölkerung ausgeübt wird, sich impfen zu lassen.
Es wird so wenig geimpft wie zuletzt im Februar 2021 - nur dass es jetzt genug Impfstoff geben würde. Kanzleramtschef Helge Braun hat aus diesem Grund zur Debatte gestellt, ob Geimpften zukünftig mehr Rechte zustehen sollten. Seine Antwort: Ja. Unterstützung bekommt er zum Beispiel von dem Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck.
EU-Rat rät von Impfpflichten und Aufforderungen zum Impfen ab
Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot sieht das ganz anders. Sie ist Mitautorin des Corona-Aussöhnungspapiers, in dem die bisherige Corona-Politik kritisiert wird. Sie findet: In einer Demokratie muss jeder Einzelne über seinen Körper entscheiden dürfen. Impfen ist bisher Privatsache gewesen - und sollte es nach ihrer Meinung auch weiterhin bleiben.
Auch der EU-Rat halte Diskriminierungen durch Impfung, eine Impfpflicht oder auch Aufforderungen zum Impfen für verwerflich. Denn damit werde mit dem Recht auf körperliche Integrität gebrochen.
"Ich glaube, wir sollten bei der Idee der demokratischen Basisposition bleiben: Alle, die sich impfen lassen wollen, sollen das tun und alle, die es nicht wollen, lassen es bleiben."
Die Politikwissenschaftlerin beobachtet, dass sich diese demokratische Grundhaltung im Corona-Diskurs verschiebt. Sie hält daher nichts von Impfpflichten für bestimmte Berufsgruppen, wie es etwa derzeit in Frankreich passiert, oder Einreisen nur für Geimpfte, wie etwa nach Griechenland.
Keine Impfpflicht, aber impliziter Konformitätsdruck
Zwar gebe es in Deutschland noch keine Impfpflicht, sehr wohl gebe es aber nach Meinung der Politikwissenschaftlerin ein bestimmtes Narrativ, dass die Geimpften auf die gute und die nicht geimpften auf die schlechte Seite stelle. Dadurch entstehe ein bestimmter Druck - ein impliziter Impfzwang.
"Mir fehlt die Unschuldsvermutung, dass ein gesunder Mensch nicht zunächst als potentieller Gefährder wahrgenommen wird."
Das Problem eröffnet sich für die Politikwissenschaftlerin Guérot bereits in der Unterteilung von geimpften und nicht geimpften Menschen und die daran anschließende Verteilung von Rechten. Denn in einer Demokratie hätten alle die gleichen Rechte – bedingungslos. Als Basis einer Demokratie müsse es ein Vertrauen in die oder den mündigen Bürger*in geben.
"Ich bin ausdrücklich nicht gegen Impfungen. Ich bin gegen Impfpflichten und Impfpässe, weil ich eine Spaltung der Bevölkerung vermeiden möchte."
Die Expertin macht deutlich: Sie ist nicht gegen Impfungen. Sondern für einen Diskurs, der ohne Narrative von den guten Geimpften und den schuldhaften Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, auskommt. Denn: so einfach sei es eben nicht.
Impfung vor allem für den eigenen Verlauf wichtig
Die Politikwissenschaftlerin meint: Die Impfung ist eine persönliche Entscheidung, weil sie vor allem den persönlichen Verlauf abmildert. Da auch geimpfte Personen das Virus weitergeben können, sei die Entscheidung für oder gegen eine Impfung vor allem privater Natur - auch wenn das Risiko, das Virus weiterzugeben, bei einer geimpften Person deutlich niedriger ist.