Dark TourismWarum wir an Orte des Schreckens reisen

Ein verlassenes Sanatorium, eine alte Kaserne oder ein ehemaliges Schlachtfeld – Alex reist zu verlassenen und historischen Orten. Was Menschen dazu bewegt, Orte aufzusuchen, an denen Schrecken, Gewalt oder Tod eine Rolle gespielt haben, weiß Sylvia Kesper-Biermann. Die Historikerin forscht zu Dark Tourism.

Es ist der Reiz des Unbekannten, die Lust an Mythen, Legenden und Geschichten eines Ortes, die Alex an Plätze treibt, die ihm oftmals einen Schauer über den Rücken jagen, aber auch einen Adrenalinkick verpassen können, erzählt er.

Den Ort spüren, anstatt nur darüber zu lesen

Wichtig bei seinen Erkundungen sei ihm immer, auch den historischen Hintergrund zu kennen, der mit einem Ort verbunden ist. Mit diesem Wissen ausgestattet dann die Emotionen am Ort selbst zu erleben und körperlich da zu sein – das sei etwas anderes, als nur darüber zu lesen.

"Es ist der Reiz nach dem Unbekannten und Mysteriösen. Es ist anders, etwas zu lesen über einen Ort, als diesen dann wirklich zu besuchen. Die Emotionen vor Ort sind auch ganz anders."
Alex möchte Orte spüren

Als besonders gruseliger Ort ist ihm zum Beispiel die Lungenheilstätte Grabowsee in Erinnerung geblieben – ein großer, leerstehender Komplex in Brandenburg. Diese und andere Erkundungen teilt Alex auch auf Social Media.

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Viele der Orte findet Alex im Netz, sagt er. Dabei sei die Recherche der größte Teil der Arbeit. Manchmal stoße er auch per Zufall auf interessante Gebäude. "Man fährt die Autobahn entlang und rechts sieht man auf einmal was und biegt ab", sagt er. Was den teils unzugänglichen Zutritt zu den Plätzen angeht, bewege er sich oft in einer Grauzone. Inzwischen filme er aber auch viel mit seiner Drohne, so dass er das Gelände nicht mehr direkt betreten müsse.

Alex kämpft auch gegen das Geschichtsvergessen

Orte, an denen viel Leid passiert ist, nehmen Alex besonders mit. Er verspürt dort viel Demut, sagt er. So zum Beispiel Gedenkstätten wie das Konzentrationslager Buchenwald, in dem zehntausende Menschen ermordet wurden. Mit seinem Hobby verfolgt Alex auch eine klare Mission: Er kämpft gegen das historische Vergessen und möchte Leute informieren.

"Ich habe ein Motto: Gegen das Vergessen. Mir geht es einfach darum, die historischen Hintergründe von Orten zu vermitteln. Und ich wünsche mir, dass sich darum auch Gedanken gemacht werden."
Alex

Gerade mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust wünscht sich Alex, Leute zum Nachdenken zu bringen, sagt er: "Und wenn es nur eine Minute am Tag ist, dass das nie wieder passieren darf. Damit fühle ich mich schon sehr wohl, wenn ich das transportieren kann."

Dark Tourism – mehr als nur Abenteuerlust

Dark Tourism bezeichnet im Prinzip das Aufsuchen oder Bereisen von Orten, die irgendwie mit Schrecken und Tod zu tun haben, so die Historikerin Sylvia Kesper-Biermann, die zu dem Thema forscht. Dabei sei die Definition recht weit gefasst, sowie auch die Orte, die sich unter dem Oberbegriff sammeln. Kerker oder Folterkammern zählen dazu, aber auch KZ-Gedenkstätten und Kriegsschauplätze.

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Für Dark Tourism gibt es verschiedene Gründe, sagt die Historikerin. Manchmal sei es die reine Abenteuerlust und das Interesse, etwas Außergewöhnliches zu erleben oder sich zu gruseln – in Kerkern oder Folterkammern zum Beispiel. Bei Gedenkstätten und Kriegsschauplätzen geht es mehr um die Erinnerung, Verarbeitung und Information. Auch die Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte kann eine Rolle spielen – oder einfach das Interesse, etwas über die Vergangenheit zu lernen.

Gedenkstätte – bitte keine Selfies

Gerade bei Orten wie KZ-Gedenkstätten, die emotional berühren und mit denen sich Besuchende auseinandersetzen wollen, ist respektvolles Verhalten sehr wichtig. Ein Selfie zum Beispiel wäre hier unangebracht. Untersuchungen zeigen, dass sich die meisten Menschen entsprechend verhalten, sagt die Historikerin.

"Manchmal fahren Leute ganz gezielt an nur einen dunklen Ort."
Sylvia Kesper-Biermann, Historikerin

Ob Folterkeller, Sanatorien oder Gedenkstätten – manche Menschen besuchen gezielt einen dunklen Ort, andere integrieren solche Orte in ihre Urlaubsreise oder eine Stadtbesichtigung. Das sei nicht ungewöhnlich. "Man fährt nach Hamburg und machte eine Hafenrundfahrt, geht ins Stadtmuseum und dann auch ins Dungeon, um etwas von den dunklen Seiten der Stadt kennenzulernen", so Sylvia Kesper-Biermann.