Dark TourismWarum wir an Orte des Schreckens reisen
Ehemalige Gefängnisse, Friedhöfe oder Schlachtfelder – Menschen besichtigen in ihrem Urlaub Orte des Grauens und des Todes. Was sie dort suchen, erklärt Historikerin Sylvia Kesper-Biermann in ihrem Vortrag.
Mit einem Geigerzähler durch die Sperrzone um das havarierte Atomkraftwerk Tschernobyl, ein Besuch einer KZ-Gedenkstätte oder ein Spaziergang über die Schlachtfelder von Verdun.
Warum reisen Menschen an Orte des Grauens? Darüber spricht Sylvia Kesper-Biermann in ihrem Vortrag. Sie ist Historikerin und Professorin für Historische Bildungsforschung an der Uni Hamburg und forscht seit zehn Jahren zum Phänomen Dark Tourism.
"Der Tod wird aus der Gesellschaft immer mehr verdrängt, und die Menschen suchen Gelegenheiten, um dem Tod zu begegnen."
Auseinandersetzung mit dem Tod
Orte des Dark Tourism ermöglichen Begegnung mit dem Tod, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Auch eine Begegnung mit dem Bösen, mit menschlichen Abgründen sei ein Beweggrund. Für ihre Forschung hat Sylvia Kesper-Biermann Bewertungen analysiert, die Besucherinnen und Besucher auf der Plattform Tripadvisor hinterlassen haben.
"Folter ist das Schlimmste, was Menschen einander antun können. Und diesem absolut Bösen möchte man in einem geschütztem Raum begegnen, um sich mit den dunklen Seiten der menschlichen Existenz auseinanderzusetzen."
Geschichte wird an Orten des Dark Tourism emotional erlebbar, wir wollen fühlen, was die Menschen damals erlebt haben, sagt Sylvia Kesper-Biermann. Hinzu komme eine Lust am Gruseln, ähnlich wie bei Horrorfilmen.
Dark Tourism mehr als Leid-Voyeurismus
Dark Tourism ist jedoch mehr als ein moralisch zweifelhaftes Freizeitvergnügen, es erfüllt auch eine gesellschaftliche Funktion, erklärt die Historikerin. Die Menschen wollten etwas über Geschichte lernen. Darüber hinaus seien Gedenkstätten Orte der Selbstvergewisserung und Identitätsstiftung. Man könne sich von früheren Gräueltaten abgrenzen und sich freuen, dass man heute in einer Demokratie lebt.
"Es kann aber auch eine Rolle spielen, dass man sich in diese Zeit hineinversetzen möchte – also der Wunsch, die Vergangenheit so ein bisschen nachfühlen zu können."
Sylvia Kesper-Biermann ist Historikerin und Professorin für Historische Bildungsforschung an der Uni Hamburg. Ihren Vortrag "Dark Tourism – Warum reisen wir zu historischen Orten des Schreckens?" hat sie am 18. Oktober 2023 im Rahmen der "Vorlesung für alle" der Universität Hamburg gehalten.