Christian Lindner"Videoüberwachung ist kein Allheilmittel"
Mehr Kameras bringen mehr Sicherheit? Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner sieht das kritisch. Er will nicht, dass jeder Bürger überwacht wird. Seine genaue Position dazu hat er uns heute in einem kurzen Interview erklärt.
Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov sind 60 Prozent der Deutschen für eine stärkere Videoüberwachung öffentlicher Plätze. Nach der Silvesternacht in Köln 2015, dem U-Bahn-Treter in Berlin oder dem Terroranschlag vom Breitscheidplatz gewinnt das Thema Videoüberwachung auch im Parlament immer mehr Befürworter.
Herr Lindner, Sie sagen: nicht mit der FDP. Sie wollen nicht, dass die Videoüberwachung ausgeweitet wird. Was haben Sie dagegen?
Lindner: Gegen eine Videoüberwachung von Gefahren-Brennpunkten spricht überhaupt nichts. Im Gegenteil: Ich glaube, dass wir etwa an Bahnhöfen gut daran tun, dass es eine Videoüberwachung gibt. Die ist aber nur dann sinnvoll, wenn in einer Gefahrensituation auch schnell Polizeibeamte zur Stelle sind, um dann für wirkliche Sicherheit zu sorgen. Videoüberwachung ist kein Allheilmittel. Es geht um eine Stärkung der Polizeipräsenz, die handlungsfähig sein muss.
Menschen sollen sich nicht beobachtet fühlen
Vor einem Jahr hat das noch ein bisschen anders geklungen bei Ihnen. Nach der Kölner Silvesternacht konnten Sie sich vorstellen, dass Videoüberwachung ausgeweitet wird. Warum sehen Sie das jetzt anders?
Lindner: Wie gesagt: An Bahnhöfen habe ich kein Problem mit einer Videoüberwachung. Wenn Sie wissen wollen, wo mein Kritikpunkt ist: Die flächendeckende, anlasslose Videoüberwachung von allem und jedem. Weil die bringt nur Scheinsicherheit, wenn es keine Polizeibeamten gibt, die hinter dem Monitor sitzen und dann rasch auch zur Stelle sind. Eine flächendeckende Videoüberwachung, auch da wo es keine Gefahrenzone gibt, führt doch nur zu einem: Menschen fühlen sich beobachtet. Und wenn du beobachtet wirst, wirst du dein Verhalten ändern. Und ich möchte nicht, dass die Menschen ihr Verhalten ändern müssen.
Den U-Bahn-Treter von Berlin konnte man ja glücklicherweise recht schnell identifizieren, genauso wie die jungen Männer, die den Obdachlosen in Berlin angezündet haben. Wäre es also nicht doch zwingend notwendig, dass an allen öffentlichen Plätzen Videokameras hängen? Solche Taten können überall passieren, nicht nur an Gefahrenpunkten.
Lindner: Schauen Sie nach London: London hat, glaube ich, drei Millionen Kameras, Berlin im Vergleich rund 1700 - die genaue Zahl müsste man noch mal googeln. Aber in London ist die Kriminalität nicht unbedingt geringer oder die Aufklärungsquote höher. Es ist also auf den ersten Blick ein plausibles Argument, das aber trotz des kompletten Verlusts der Privatheit inklusive der Gesichtserkennung in Großbritannien einer praktischen Überprüfung nicht standhält.