ProtesteChinas Führung reagiert mit Einschüchterung
Die Proteste gegen die Null-Covid-Politik in China sind ungewöhnlich. Derweil läuft die Zensurmaschine der Staats- und Parteiführung auf Hochtouren. Auf den Straßen ist mehr Polizei: Taschen und Smartphones werden kontrolliert. Die Politik will einschüchtern.
In China gibt es keine Meinungsfreiheit oder das Recht auf Versammlung. Dennoch haben seit dem 24. November Menschen in verschiedenen Städten gegen die Null-Covid-Politik der Staats- und Parteiführung protestiert. "In dieser Dimension sind die Proteste durchaus ungewöhnlich", sagt die Sinologin Marina Rudyak von der Universität Heidelberg.
Vereinzelt kam es auch in der Vergangenheit zu Protesten in China, häufig durch Arbeiter*innen. Aber diesmal sei die Elite mit auf der Straße, so Marina Rudyak. Außerdem haben sich Menschen in verschiedenen Städten versammelt, der Protest war also im Land verteilt.
"Das sind nicht Arbeiterproteste, wie wir das immer wieder haben, sondern diesmal sind die Eliten auf der Straße."
Derweil läuft die Zensur im Netz auf Hochtouren. Chinas Führung versucht die Kontrolle über die sozialen Medien zu behalten. "Aber die Menschen sind schneller als die Zensur", sagt die Sinologin. Die Menschen finden immer wieder Wege, um staatliche Zensurmaßnahmen zu umgehen, sodass es ihnen weiterhin gelingt, sich auch landesweit zu vernetzen.
Erotik und Porno als Zensurmaßnahme im Netz
Bei der Zensur im Netz setzt die Führung in Peking wohl auch auf nackte Haut. Auf Twitter gab es eine Flut von Postings, die für Escort-Dienste, Potenzmittel und weitere erotische sowie pornografische Angebote warben. Das berichtet die Washington Post. Damit sollen Infos rund um die Proteste möglichst überschüttet werden, damit sie schwieriger auffindbar werden.
"Das Regime hat auf Twitter offenbar eine große chinesische Porno-Mauer errichtet, um die Tweets über die Proteste verschwinden zu lassen."
Doch es bleibt nicht bei der Zensur im Internet. Die Polizei geht gegen die Demonstrierenden vor, nachdem sie am Wochenende noch zurückhaltend war. "Festnahmen waren bisher eher eine Ausnahme als die Regel", sagt Marina Rudyak.
Möglicherweise wollte die Regierung die Situation zunächst nicht weiter eskalieren. Denn die Null-Covid-Politik betreffe die gesamte Gesellschaft in China.
Auslöser für die Proteste
Der Auslöser für die aktuellen Proteste war der Brand in einem Hochhaus in Urumqi, der Hauptstadt des chinesischen Landesteils Xinjiang, bei dem zehn Menschen starben. Die Feuerwehr soll aufgrund corona-bedingter Straßensperrungen bei ihrer Arbeit behindert worden sein.
Das macht den Unfall so unmittelbar für viele Menschen. "Das kann jeden betreffen", sagt Marina Rudyak. Damit wird auch der Protest für viele nachvollziehbar und möglicherweise eben auch unterstützenswert.
Womöglich Abflachen der Protestwelle
Aktuell habe sich die Situation verändert, die Proteste seien abgeflacht. "Es ist ruhig in den großen Städten", sagt unsere Korrespondentin in Shanghai, Eva Lamby-Schmitt. Die Polizeipräsenz habe zugenommen, es gibt Straßenbarrikaden und Stichproben. Taschen werden kontrolliert, ebenso Smartphones.
"Die Zensurbehörden lesen mit. Die Menschen sind – meiner Einschätzung nach – sehr eingeschüchtert."
In den Taschen suchen die Polizist*innen nach leeren, weißen Blättern. Demonstrierende haben sie hochgehoben (siehe unser Bild oben), um die fehlende Meinungsfreiheit anzuprangern. Auf den Smartphones wird nach Fotos und Videos der Proteste gesucht, ebenso werden Chatverläufe kontrolliert und ob Twitter oder auch Telegram installiert sind. Beide Apps sind in China eigentlich gesperrt.
Wie es mit den Protesten weitergeht, sei schwierig einzuschätzen, so Eva Lamby-Schmitt. Es hänge davon ab, ob sich die Menschen trotz aller Zensurmaßnahmen und auch der erhöhten Polizeipräsenz weiterhin austauschen und vernetzen können.
Abschwächen der Corona-Maßnahmen?
Die Staats- und Parteiführung hat mit der Lockerung einzelner Corona-Maßnahmen reagiert. Einen neuen Kurs gebe es aber nicht. Denn zum einen wolle die Regierung ihren Null-Covid-Kurs legitimieren, so Marina Rudyak. Zum anderen befürchtet die Politik, das Gesundheitssystem an sein Limit zu bringen. "Die Anzahl der Intensivbetten pro Bevölkerung ist in China relativ niedrig", sagt die Sinologin. Bei steigenden Covid-Infektionszahlen könnten die Intensivstationen bald überlastet sein.
Hinzu kommt, dass die Impfrate besonders unter den älteren Menschen in China gering ist. Das Land hatte einen anderen Weg eingeschlagen. "Erst wurden die Jungen geimpft, nicht die ältere Bevölkerung", sagt Marina Rudyak.
Außerdem seien die chinesischen Impfstoffe weniger wirksam als jene aus dem Ausland, so die China-Expertin. Doch Pekings Führung lässt mRNA-Impfstoffe aus dem Westen nicht zu. "Weil man dann im Prinzip zugeben müsste, dass die eigenen Impfstoffe nicht so wirksam sind", sagt Marina Rudyak.