China: "Frühling der Demokratie" 1989Bis heute gibt es keine Aufarbeitung des Massakers auf dem Tiananmen-Platz
Ende der 1980er Jahre setzt in China eine friedliche und von der breiten Bevölkerung getragene Protestbewegung für Demokratie ein, der "Frühling der Demokratie". Doch am 4. Juni 1989 rollen die Panzer.
Ende der 1970er Jahre beginnt China, sich wirtschaftlich zu öffnen. Innerhalb der Kommunistischen Partei entsteht ein liberaler Flügel, der auf mehr politische und gesellschaftliche Öffnung drängt. "Diese Stimmung hat sich bis Ende der 80er Jahre weiter intensiviert", sagt Axel Dorloff, ARD-Korrespondent in China. Im sogenannten "Frühling der Demokratie" 1989 demonstrierten Hunderttausende Bürgerinnen und Bürger, Arbeiter und Studierende wochenlang für einen gesellschaftlichen Wandel.
Friedliche Proteste für mehr gesellschaftliche und politische Freiheiten
Die Initiative für die Demonstrationen gingen von den Studierenden aus. Ihnen haben sich Arbeiter, Professorinnen, Staatsbedienstete, Schülerinnen und Militärangehörige angeschlossen. Ihr Ziel: mehr gesellschaftliche und politische Freiheiten. Die Demonstranten gingen gegen gegen Korruption und für mehr Demokratie auf die Straße, sagt Axel Dorloff.
"Es war längst nicht nur eine Studierendenbewegung, sondern es waren breite Teile der Bevölkerung, die 1989 in China demonstriert haben gegen Korruption, mehr Demokratie und mehr gesellschaftliche und politische Freiheiten."
Die Protestierenden drängen auf demokratische Wahlen und wollen das diktatorische System, wie sie es nennen, loswerden, beschreibt Axel Dorloff die Situation in China. Die Demonstrationen finden nicht nur in Peking, sondern auch in anderen Groß- oder Universitätsstädten wie Schanghai oder Hefei statt. Meist beginnen die Demonstrationen mit Protestkundgebungen, die in Musikveranstaltungen übergehen. Teilweise enden sie im Hungerstreik.
Brutales Vorgehen der Polizei
Die Polizei geht brutal gegen die Studierenden vor, und einer ihrer Wortführer, der 21-jährige Wu’er Kaixi, tritt am 18. Mai 1989 in Verhandlungen mit der Regierung ein. Direkt im Anschluss an die Verhandlungen verhängt die Regierung das Kriegsrecht, berichtet Wu’er Kaixi.
"Das war der Moment der Studentenbewegung von 1989, an dem wir einem Erfolg am nächsten waren. Von da an ging es in die andere Richtung. Direkt im Anschluss an die Verhandlungen verhängte die chinesische Regierung das Kriegsrecht – Peking war im Ausnahmezustand."
In Peking befinden sich über 2400 Menschen im Hungerstreik, sie werden in Krankenhäusern behandelt. Auch Wu’er Kaixi ist im Hungerstreik, er wird in einem Krankenhaushemd zu den Verhandlungen gebracht.
Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens
In der Nacht vom 3. auf den 4. Juni erhält das Militär den Befehl, gegen die eigene Bevölkerung vorzugehen. Es schlägt die pro-demokratischen Proteste in Peking brutal nieder. Hunderte oder Tausende sollen dabei ums Leben gekommen sein - die genauen Zahlen kennt man nicht.
Chen Guang ist im Frühling 1989 ein 17-jähriger Soldat bei der Volksbefreiungsarmee. In der Nacht des Massakers ist er rund um den Platz des Himmlischen Friedens im Einsatz. Was er tut, erscheint ihm zeifelhaft.
"Das waren Bürger und Studenten. Wer genau waren dabei die bösen Menschen? Ich wusste es nicht. Innerlich hatte ich Zweifel."
Während des "Frühlings der Demokratie" haben die Soldaten ein gutes Verhältnis zu den Studierenden gehabt, sie gehören der gleichen Generation an und tauschen sich aus. Nach dem Massaker verlässt Chen Guang das Militär und ein beginnt ein Kunststudium. Doch die Erinnerungen an den 4. Juni 1989 werden ihn nie wieder loslassen, sagt er unserem Korrespondenten.
Bis heute findet in China offiziell kein Erinnern an die Protestbewegung und das Massaker des 4. Juni 1989 statt.
"Chinas Propaganda- und Zensurmaschine setzt alles daran, das Thema aus dem kollektiven Bewusstsein der Chinesen zu streichen."
Die Mütter von Tiananmen, die ihre Kinder bei dem Massaker verloren haben, schreiben jedes Jahr einen offenen Brief an die chinesische Staats- und Parteiführung - doch der wird ignoriert. Und die Mütter dürfen sich nicht offen äußern, sagt unser Korrespondent.