Caritas-Mitarbeiter über Afghanistan"18 Millionen Menschen sind auf Hilfe angewiesen"
Viele Millionen Menschen in Kabul brauchen Hilfe. Hilfsorganisationen würden gerne helfen, können aber nicht. Sie kommen schlicht nicht an Geld. Stefan Recker leitet das Caritas-Büro in Kabul und erklärt, warum Verhandlungen mit den Taliban jetzt so wichtig sind.
In Genf beraten die Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen über Nothilfe für die afghanische Bevölkerung. Sie warnen vor einer humanitären Katastrophe im Land. Nahrungsmittelhilfe und andere lebensrettende Hilfsgüter gehen zur Neige. Grundsätzlich sind viele westliche Staaten zu humanitärer Hilfe bereit. Umfangreichere Wirtschaftshilfen sollen allerdings vom Verhalten der Taliban abhängig gemacht werden.
Nahrungsmittel, Winterhilfe und Geld, das brauche die afghanische Bevölkerung momentan wohl am dringendsten, sagt Stefan Recker. Er hat bis vor kurzem noch das Caritas-Büro in Kabul geleitet und sagt: "Die Not ist wirklich vielfältig." Er plant, Geldtransfers zu initiieren, Nahrungsmittel zu verteilen, Betten, Zelte und Hygieneartikel ins Land zu bringen.
"Die Dachverbände von Hilfsorganisationen in Afghanistan befinden sich gerade in Verhandlungen mit den Taliban über bestimmte Standards."
Als Beispiel für die Not der Menschen in Afghanistan nennt Stefan Recker Landwirte, die unter anderem Agrarhilfe brauchen, um ihre Tiere über den Winter bringen zu können. Grundsätzlich hätten die Taliban ein Interesse daran, dass Hilfsmaßnahmen durchgeführt werden, so Stefan Recker, dies müsse aber in Verhandlungen festgemacht werden. Er selbst möchte, sobald es geht, wieder für die Caritas zurück nach Kabul.
Kollabierte Banken als Problem
So lasse sich sowohl den Taliban als auch der afghanischen Bevölkerung zeigen, dass die Caritas im Land helfen wolle. Die Caritas ist der Wohlfahrtsverband der römisch-katholischen Kirche in Deutschland.
Normalerweise kaufe seine Hilfsorganisation Hilfsgüter vor Ort ein, um sie zu verteilen. Der Zusammenbruch des Finanzsystems mache das momentan allerdings unmöglich. Sanktionen gegen die Taliban kämen noch hinzu. Stefan Recker erklärt: "Dadurch, dass die Zentralbank keine Liquidität hat, die sie an die privaten Banken weitegeben kann, kommen wir vor Ort auch nicht an Geld ran." Er sagt: "Wir können da nicht einfach mit einem Geldkoffer auflaufen."
Verhandeln mit den Taliban
Momentan versuchten die Hilfsorganisationen mit den neuen Machthabern in Afghanistan auszuhandeln, unter welchen Bedingungen Hilfe in dem Land organisiert werden kann. Ein zentraler Punkt sei dabei die Frage, wie Frauen auch außerhalb des medizinischen und pädagogischen Bereichs mitarbeiten können. Stefan Recker nennt beispielsweise Buchhalterinnen und Monitoring-Spezialistinnen. Er sagt: "Da sind wir auch bereit zu Kompromissen, dass man zum Beispiel einen Vorhang in einen Raum hängt, der Männer und Frauen trennt."
"Wir möchten, dass die Frauen, die vor dem 15. August für uns gearbeitet haben, auch weiterarbeiten können."
Hinweis: Das Foto zeigt eine bettelnde Familie. Aufgenommen wurde es Anfang September 2021 im Zentrum von Masar-e Scharif im Norden Afghanistans.