Neue Cannabis-RegelnAbends kiffen, morgens Auto fahren – was geht?
Auto fahren nach einem kleinen Bier – das ist in den meisten Fällen erlaubt. Aber wie sieht es bei Cannabis aus? Der verkehrssichere THC-Grenzwert liegt neuerdings bei 3,5 Nanogramm. Aber was heißt das genau? Auch Cannabis-Konsument Uwe sagt, er weiß oft nicht, wann er Auto fahren darf und wann nicht.
Am 1. April dieses Jahres ist für viele Cannabis-Konsument*innen in Deutschland wohl ein Traum in Erfüllung gegangen: Kiffen in aller Öffentlichkeit – endlich entkriminalisiert. Die Teillegalisierung bringt aber natürlich auch Regeln mit sich. Viele Fragen sind dabei noch offen.
Bedeutung der neuen THC-Grenze
Eine ganz wichtige: Wenn ich denn nun kiffe, wann darf ich dann eigentlich wieder Auto fahren? Zwar wurde ein neuer Grenzwert beschlossen, der seit dem 22.08.2024 gültig ist – der liegt bei 3,5 Nanogramm THC pro Milliliter Blut. Aber was heißt das denn konkret?
Es ist nämlich gar nicht so leicht abzuschätzen, wann der eigene Wert wie hoch ist und wie einen das beeinflusst. Das kann individuell ganz unterschiedlich sein. Uwe zum Beispiel, der auch in der Hanf-Branche arbeitet, kifft selbst regelmäßig abends. Er leidet unter starken Rückenschmerzen und ist deshalb Cannabis-Patient. Wie viel THC er morgens noch im Blut hat, kann er selbst nicht einschätzen, sagt er.
Hohe THC-Werte im Blut trotz tagelanger Abstinenz
Im Rahmen eines Films mit dem Y-Kollektiv hat er einen Test gemacht: 36 Stunden Abstinenz, dann eine Blutanalyse. Überraschung: Sein Wert lag noch immer bei 5 Nanogramm. Viel mehr als er erwartet hätte – und deutlich über dem künftig erlaubten Wert von 3,5 Nanogramm.
Es ist generell gut, dass es eine Grenze gibt, sagt Uwe. Gleichzeitig ist er aber überzeugt, dass er morgens keine Beeinträchtigung beim Fahren hat, wenn er sich etwa acht Stunden nach seinem letzten Joint ans Steuer setzt – selbst wenn er dann noch THC im Blut hat.
"Ich denke, bei einem Joint am Tag kann es sein, dass man früh um sieben, acht Uhr vielleicht noch über den Werten ist. Was soll das? Niemand ist dann mehr high, niemand ist mehr stoned.“
Als Hanfanbauer und Konsument könnte man Uwe nun auch ein gewisses Eigeninteresse unterstellen. Allerdings gibt ihm die Forschung auch zu Teilen recht, sagt Bernd Werse, Professor für Soziale Arbeit an der Frankfurt University of Applied Sciences, der sich seit über zwanzig Jahren mit sozialwissenschaftlicher Sucht- und Drogenforschung beschäftigt.
"Es gibt schon eine ziemlich hohe Toleranz, was die Anreicherung im Blut und die Fähigkeit zu fahren angeht."
Nach all dem, was man aus Studien weiß, ist es wohl tatsächlich so, dass Dauerkonsument*innen auch mit Werten über dem neuen Grenzwert keine Beeinträchtigungen haben müssen, sagt er. Außerdem bleibe der THC-Gehalt im Blut gerade bei regelmäßigen Kiffer*innen auch länger hoch – unter Umständen dauere es Tage, bis er auf Null geht.
Mindestens acht Stunden Pause zwischen Joint und Lenkrad
Bei Menschen, die nicht täglich konsumieren, könne man als Faustregel sagen, dass acht bis zehn Stunden Abstinenz bis zum Auto fahren reichen sollten, sagt Bernd Werse: "Wenn man abends konsumiert und am nächsten Morgen Auto fährt, dann ist man eigentlich relativ auf der sicheren Seite", sofern man nicht gleich mehrere Gramm weggeraucht habe.
"Es gibt schon eine Beeinträchtigung, was die Konzentrationsfähigkeit angeht. Das ist allerdings tatsächlich sehr stark davon abhängig, wie häufig man konsumiert.“
Selbst die Kommission, die diesen Wert empfohlen hat, hätte eingeräumt, dass man erst etwa im Bereich von sieben Nanogramm nennenswerte Beeinträchtigungen verspüre. Gleichzeitig hätten Menschen, die selten konsumieren, auch eine viel stärkere und länger anhaltende Beeinträchtigung als Dauerkonsument*innen.
"Aus meiner Sicht ist 3,5 Nanogramm durchaus ein sinnvoller Wert – eigentlich im Schnitt wahrscheinlich noch ein bisschen zu niedrig angesetzt."
Heißt also: Der THC-Wert im Blut sagt weder zwingend noch verlässlich etwas über die Fahrtüchtigkeit aus. Aber macht der Grenzwert dann überhaupt Sinn? Bernd Werse sagt: Ja! Beim Festlegen des Wertes sei konservativ vorgegangen worden, man habe sich an dem Wert von 0,2 Promille Alkohol orientiert, wobei das eigentlich schwer zu vergleichen sei.
"Bei 0,2 Promille Alkohol haben manche Leute auch schon eine gewisse Beeinträchtigung. Und insofern wäre es auch bei Alkohol sinnvoller, den Wert eher ein bisschen niedriger anzusetzen.“
Er würde die THC-Grenze daher trotz allem nicht höher setzen. Wenn etwas ändern, dann also eher eher die Alkohol-Grenze weiter senken. Denn bei 0,2 Promille gebe es ja bereits gewisse Beeinträchtigungen. Daher: Lieber beides niedriger als beides höher, so der Drogen- und Suchtforscher.
Auch Dauerkonsument Uwe findet die Regelung übrigens in Ordnung. Ihm ist vor allem wichtig, dass Konsument*innen durch die Teillegalisierung nicht mehr kriminalisiert werden und Cannabis damit auch nicht mehr als Einstiegsdroge wirke.
Noch ein paar Hard Facts zum Kiffen und Auto fahren
- Der neue Grenzwert von 3,5 statt 1,0 ng/ml gilt vom 22.08.2024 an.
- Für Menschen unter 21 Jahren und Fahranfänger*innen in der Probezeit, also in den ersten zwei Jahren nach Führerscheinerhalt, gilt weiterhin ein Grenzwert von 1,0 ng/ml.
- Wegen des Risikos bei Mischkonsum gilt nach dem Cannabis-Konsum ein komplettes Verbot für Alkohol im Straßenverkehr.
- Wer den neuen Grenzwert überschreitet, dem droht beim ersten Mal eine Strafe von 500 Euro und ein Monat Fahrverbot.
- Wenn ihr wie Uwe aus medizinischen Gründen und mit Verschreibung Cannabis raucht, gilt das für euch nicht. Allerdings müsst ihr trotzdem fahrtüchtig sein.
- Wer andere Verkehrsteilnehmer gefährdet, dem drohen wesentlich härtere Strafen.
Und wie bei allem gilt jenseits aller alten und neuen Regeln: Schaltet euren Kopf ein.
"Am Ende geht es – Grenzwerte hin oder her – auch ein Stückweit um Eigenverantwortung.“
In dieser Folge Unboxing News erfahrt ihr noch viel mehr: Zum Beispiel, warum THC noch so lange im Blut ist und wie anders als Alkohol der Körper es abbaut, welche sinnvolleren Tests als Blutanalysen es geben könnte, um die Fahrtüchtigkeit nach dem Kiffen festzustellen, und wie unterschiedlich Cannabis und Alkohol das Fahren beeinträchtigen. Spoiler: Kiffer*innen sind im Schnitt verpeilter, aber vorsichtiger. Um die kompletten Interviews zu hören, klickt oben auf Play!
Hinweis: Diese Folge wurde vor Inkrafttreten des neuen Grenzwerts aufgezeichnet. Den Text haben wir entsprechend angepasst. Das Audio der Podcastfolge ist unverändert geblieben (Stand 22.08.2024).