Selbstjustiz und DemokratieBürgerwehren als rechtsextreme Strategie
Bürgerwehren geben an, für Sicherheit zu sorgen. Manche wollen das wirklich – ob sie das tatsächlich erreichen, ist fraglich. Viele werden von Rechtsextremen aber dazu genutzt, um ihre politischen Ziele voranzutreiben und Anhänger zu rekrutieren. Die Politologin Nina Bust-Bartels über Bürgerwehren in Deutschland.
Eine Einbruchserie verunsichert eine Gemeinde. Die Polizei fasst keine Täter*innen, die Menschen haben Angst. Es bildet sich eine Bürgerwehr - sie will die Sache selbst in die Hand nehmen. Ist das ein Beispiel für bürgerschaftliches Engagement oder eines für gefährliche Selbstjustiz?
Bürgerwehren als Problem für die Demokratie
Die Politikwissenschaftlerin Nina Bust-Bartels hat Bürgerwehren im Rahmen ihrer Dissertation untersucht und sie bei ihren Patrouillen begleitet. Ob sie sich nun Bürgerwehren, Nachbarschaftsstreifen oder anders nennen: Solche Gruppen sind problematisch, sagt sie – auch solche, die sich wegen tatsächlicher Ereignisse gründen und beispielsweise Einbrüche verhindern wollen.
"Bürgerwehren stellen den Staat als Sicherheitsgaranten infrage und untergraben das Gewaltmonopol des Staates."
Bürgerwehren untergraben das Gewaltmonopol des Staates, erklärt sie. Vigilantismus nennt sich dieses Phänomen. Nina Bust-Bartels berichtet in dieser Hörsaal-Folge von den konkreten Auswirkungen der Praxis solcher Streifen.
Beim Begleiten verschiedener Gruppen hat sie unter anderem Vorverurteilungen, Rassismus und Bedrohungen beobachtet. "Für Menschen, die in das Feindbild der Bürgerwehren passen, wird der öffentliche Raum unsicherer", sagt sie.
"Selbst, wenn die Bürgerwehren nichts Illegales tun, verändern sie den öffentlichen Raum."
Nicht zuletzt stellt sie fest, dass eine Vielzahl von Bürgerwehren von Rechtsextremen gegründet oder unterwandert sind: "Unter dem Deckmantel des nachbarschaftlichen Engagements für Sicherheit vernetzen sich Wutbürger und Rechtsextreme. Bürgerwehren sind Orte der Radikalisierung, mitunter sogar eine gezielte Strategie rechtsextremer Akteure, im öffentlichen Raum Macht auszuüben."
"Bürgerwehren sind eine Strategie rechtsextremer Akteure zur Erzielung von Raum- und Normalitätsgewinnen."
Und - das zeigte sich etwa auch im Prozess gegen die mutmaßlich rechtsterroristische sogenannte Gruppe S. – sie dienen offenbar auch zur Rekrutierung von Anhänger*innen. Das hat auch die Bundesregierung 2019 festgestellt, die innerhalb von Bürgerwehren mögliche "Ansätze für rechtsterroristische Potenziale" sieht und ein Risiko für gewalttätiges Handeln.
"Im Zusammenspiel der Diskursverschiebungen und der wachsenden Zahl rassistisch motivierter Gewalt übernehmen Bürgerwehren eine Scharnierfunktion."
Nina Bust-Bartels ist Politikwissenschaftlerin und freie Journalistin – unter anderem arbeitet sie als Redakteurin und Moderation für den Hörsaal. Ihr Vortrag trägt den Titel "Zwischen Nachbarschaftshilfe und rechtsextremer Aktion – Eine Typologie zeitgenössischer Bürgerwehren in Deutschland".
Gehalten hat sie ihn am 14. Januar 2023 im Rahmen der Konferenz "Vigilantismus - Internationale theoretische Perspektiven und empirische Befunde", die vom Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus der Hochschule Düsseldorf (Forena) organisiert war. Der Vortrag beruht auf ihrer Dissertation, die als Buch unter dem Titel "Bürgerwehren in Deutschland" Open Source kostenlos downloadbar ist.
Dieser Beitrag ist Teil der Denkfabrik "Die wehrhafte Demokratie":
Der Krieg in der Ukraine hat die Frage nach unserer Verteidigungsfähigkeit neu gestellt. Nun wird die Bundeswehr aufgerüstet und aufgewertet. Aber auch weltweit geraten Demokratien unter Druck, die Feinde der offenen Gesellschaft gewinnen an Boden. Autoritäre Regime fühlen sich stärker denn je. Wie lässt sich die Demokratie also verteidigen gegen äußere wie innere Feinde? Mit dieser Frage beschäftigen wir uns in der aktuellen Denkfabrik.